Mit großem Vorsprung haben Felix Loch und David Möller im Eiskanal von Whistler für zwei weitere deutsche Medaillen gesorgt.

Whistler/Vancouver. Den brenzligsten Moment des Nachmittags hatte Felix Loch nach seinem Triumph zu überstehen: Beim Überqueren des Eises im Zielbereich schlidderte der Rodler ein wenig auf seinem Weg zu gegenüberliegenden Seite, wo ihm von Fans die obligatorische Deutschlandflagge entgegen gestreckt wurde. Loch erreichte auch dieses Ziel.

Mit einer verblüffenden Souveränität ist der Hüne aus Schönau am Königssee Sonntag Olympiasieger geworden, es ist das erste Gold für sein Land bei diesen XXI. Winterspielen in Kanada. „Dass es die erste ist, ist mir egal“, feixte Loch, „viel unglaublicher ist, dass ich überhaupt eine habe. Ich bin erst 20. Damit hätte ich nie gerechnet.“ Vier Läufe, viermal Bestzeit – und zum Feiern stand gleich auch noch ein Kollege parat. David Möller fuhr zu Silber, in allen Läufen im Whistler Sliding Centre hatte er die zweitbeste Zeit erzielt und damit der Weltöffentlichkeit nachhaltig demonstriert, wer die Chefs in der Eisrinne sind: Die Deutschen.

Lochs Olympiasieg ist keine immense Überraschung, wenngleich die Kaltschnäuzigkeit doch bemerkenswert ist. Trotz seiner erst 20 Lenze zählt der Sohn von Bundestrainer Norbert Loch zu den Nervenstärksten im Eiskanal. Mit 18 avancierte Felix Loch 2008 zum jüngsten Rodel-Weltmeister überhaupt, 2009 verteidigte er seinen Titel erfolgreich – was vor ihm nur den Branchenlegenden Georg Hackl und Armin Zöggeler gelungen war. Italiens Olympiaveteran belegte in Whistler Rang drei vor dem Russen Albert Demtschenko und Andi Langenhan, dem dritten deutschen Starter.

„Ich fand mich nicht zurecht und fühlte mich nicht wohl auf der Bahn“, sagte Zöggeler fast entschuldigend. „Hinzu kommen die Temperaturen, der ständige Regen und keine Minusgrade, die ich liebe. Aufs Podium zu fahren war das Maximum, was ich erreichen konnte.“ Zumal eine Entscheidung der Organisatoren ihm zum Nachteil gereichte.

Nach dem tödlichen Sturz des Georgiers Nodar Kumaritaschwili am Freitag hatten sie die Starts aller Rodel-Wettbewerbe deutlich tiefer verlegt. Die Männer nutzten Sonntag den Frauenstartbereich, die Frauen und Doppelsitzer werden in dieser Woche vom noch weiter unten gelegenen Startbereich der Junioren losrodeln. Es gehört zu den zynischen Fußnoten dieser Wettbewerbe, dass ausgerechnet den deutschen Rodlern ein Vorteil daraus erwächst. Loch, Möller und Langenhan kamen mit dem verkürzten Anlauf, der vier Paddelschläge erlaubte, aufgrund ihrer großen Athletik prima zu Recht und erzielten die besten Startzeiten, während andere Nationen – etwa die angefressenen Gastgeber – haderten.

„Wir waren alle bereit, von ganz oben zu starten“, greinte der deutsche Trainer der Kanadier, Wolfgang Staudinger, „dann hätten wir unseren Heimvorteil ausspielen können.“ Und der österreichische Starter Wolfgang Kindl bemerkte: „Die Geschwindigkeit ist gar nicht so hoch. Es sind die guten Starter, die hier einen großen Vorteil haben.“ Noch vor dem abschließenden Durchgang nörgelte der Rumäne Valentin Cretu: „Ich hoffe, ein Italiener oder Russe gewinnt, aber ich denke, die Deutschen werden es hier machen. Es ist wie ein Heimspiel hier für sie – du benötigst einen kraftvollen Start.“

Ein solcher ist nun auch der deutschen Olympiamannschaft gelungen. Sie heimste am ersten Wochenende der XXI. Spiele in Kanada einmal Gold (Loch) und dreimal Silber (Möller, Magdalena Neuner, Stephanie Beckert) ein. Keine so üble Bilanz, fürwahr.

Im Whistler Sliding Centre ist es ein bizarrer Sonntag gewesen. Dicke Regentropfen wechselten sich mit strahlendem Sonnenschein ab, Zuschauermassen drängten sich an der Rinne und auf den 10 000 Menschen fassenden Tribünen, viele das erste Mal in ihrem Leben bei einem Rodelrennen. Sie johlten und feierten, und hätten nicht zu Ehren von ein paar Flaggen an Kurve 16 auf Halbmast geweht und hinter der provisorischen Bandenerhöhung brennende Kerzen und Blumensträuße zu Ehren von Nodar Kumaritaschwili gelegen, fast hätte man meinen können, es sei ein ausschließlich herzerwärmender Wettkampf gewesen. „Es ist eine großartige Atmosphäre“, staunte der Amerikaner Chris Mazdzer, der 13. wurde, „ich hatte noch nie mehr Spaß in einem Rennen.“ Paradox?

Felix Loch wollte nach dem größten Erfolg seiner Karriere das Lächeln kaum aus dem Gesicht weichen. Gerührt schaute sein größter Ratgeber, Vater Norbert, der Bundestrainer, mit dauerfeuchten Augen war er zunächst zu keiner Analyse in der Lage. „Er hat nur gesagt: gut gemacht“, schilderte sein Filius später die erste familiäre Kontaktaufnahme.

Auch bei Georg Hackl hatte sich der abgeklärte Youngster wieder Tipps abgeholt. „Er ist eine große Hilfe. Wir haben zusammen meinen Schlitten gemacht. Es macht Spaß, mit Schorsch zusammenzuarbeiten.“ Der Nachwuchstrainer und dreimalige Olympiasieger aus Bayern durfte auch gestern wieder auf seinen Protegé stolz sein, wie auf die ganze deutsche Mannschaft. An die nervenstarken, austrainierten und mit dem besten Material ausgestatteten Rodler in Schwarz-Rot-Gold vermochte niemand heranzureichen.

Ihre Fortsetzung dürfte die Erfolgsstory am Montag und Dienstag finden. Dann rodeln die auch in dieser Saison wieder scheinbar unschlagbaren Frauen, die von 36 möglichen Olympiamedaillen seit Innsbruck vor 46 Jahren 27 gewannen. Ganz zufrieden sind aber auch sie nicht mit den Bedingungen. „Das ist kein Frauenstart“, maulte Natalie Geisenberger, „das ist ein Kinderstart.“ Ob es auch ein Kinderspiel wird?

Sollte es ihr und den Teamkolleginnen so gehen wie Felix Loch, dann können sie sich glücklich schätzen. Der Olympiasieger sagte: „Alles fällt mir einfach zu.“