Moskau. Frankreich hat das WM-Finale gegen Kroatien 4:2 gewonnen. Es war eine tolle Partie, in der auch der Schiedsrichter eine Rolle spielte.
In der Sekunde, als Schiedsrichter Nestor Pitana mit einem Elfmeterpfiff seinen Lauf über 50 Meter vom Monitor am Spielfeldrand zurück zum Strafraum der Kroaten beendete, schickte der Himmel einen krachenden Seufzer ins Luschniki-Stadion. Ein Donnerhall entwich den dunklen Wolken über Moskau und begleitete den französischen Angreifer Antoine Griezmann zum Abschluss eines wirklich historischen Ereignisses.
Handspiel von Ivan Perisic
Frankreich ist mit 4:2 im WM-Finale gegen Kroatien zum zweiten Mal nach 1998 Weltmeister und muss sich gleichwohl dem Verdacht aussetzen, dass genau diese umstrittene Szene zum 2:1 in der 35. Minute dem WM-Endspiel die entscheidende Richtung versetzt hat. Frankreichs Trainer Didier Deschamps, der 1998 auch als Spieler Weltmeister wurde, waren die Unkenrufe gleichgültig: „Meine Spieler haben diesen Pokal verdient. Das ist zu schön, zu wunderbar. Wir haben viel Qualität an den Tag gelegt.“
Zum ersten Mal in 88 Jahren WM-Geschichte fiel ein Tor in einem WM-Finale, weil der Unparteiische aus Argentinien lieber den TV-Bildern als seinen eigenen Augen vertraute. Nachdem er sich die Szene im Video angeschaut hatte, war er sich sicher, dass der ehemalige Dortmunder Ivan Perisic, sieben Minuten vorher noch gefeierter Torschütze des Ausgleichstreffers, den Ball in der 35. Spielminute entscheidend und mutwillig mit der Hand im Strafraum berührt hat. Griezmann verwandelte den Strafstoß sicher.
Die Bilanz von drei Toren in den ersten 45 Minuten und die Aufregung um die Intervention beim Videobeweis waren Indiz dafür, dass es sich um ein spektakuläres WM-Endspiel handelte. Zumal es noch einen Grund für heftige Diskussionen gab. Die Franzosen, die immerhin einen 180 Millionen Euro teuren Jungstar (Mbappé) und einen Deutschland-Schreck (Griezmann) im Angriff aufboten, hatten ihr erstes Tor nach 18 Minuten geschenkt bekommen.
Elfmeter nach Videobeweis für Frankreich
Griezmann schlenzte einen Freistoß, der wahlweise aus einem Allerweltsfoul oder einer Schwalbe entstanden war, aus 25 Metern so geschickt in den Strafraum, dass Kroatiens Stürmerstar Mario Mandzukic den Ball mit dem Kopf unglücklich über seinen fangbereiten Torwart Danijel Subasic ins Tor lenkte. Die Situation war typisch für die WM: Gelingt Frankreich keine Torchance aus dem Spiel, muss eine Standardsituation zum Erfolg führen.
Frankreich triumphiert im WM-Finale gegen Kroatien
Beinahe jeder zweite Treffer fiel bei dieser WM nach einer Standardsituation. Und so ging es in diesem Finale in der ersten Halbzeit weiter. Ein Freistoß des Ex-Schalkers Ivan Rakitic segelte zunächst halbrechts in den Strafraum des Gegners, als der Ball vom Frankfurter Ante Rebic überraschend quer zu Perisic weitergeleitet wurde. Der legte sich den Ball zum Schuss aus halblinker Position zurecht. Bisher lagen die Kroaten jedes Mal in der K.o.-Runde zurück und kamen zum Ausgleich.
Dann jene 35. Minute, die in die Geschichte des Fußballs eingeht – weil es nie zuvor einen Videobeweis in einem WM-Finale gegeben hatte. Nach Griezmanns Elfmetertor mussten die Kroaten noch offensiver werden. Aber sie kamen nach der Halbzeitpause nur sporadisch vors Tor und öffneten die eigene Verteidigung auf eine Weise, dass Frankreich jetzt die spielerische Überlegenheit in Toren ausdrücken konnte. Zuerst durch Paul Pogba (59.), dann durch Kylian Mbappé (65.), die frei zum Schuss kamen.
Nur noch Ergebniskosmetik
Das dritte Tor durch Pogba: Nach einer Verlagerung auf rechts zieht Mbappé Verteidiger auf sich; sein Pass gelangt zu Griezmann im Zentrum, der klug auf Pogba im Hintergrund ablegt. Der erste Schuss wird abgeblockt, der Nachschuss sitzt. Das vierte Tor durch Mbappé: Lucas Hernandez kann sich links durchsetzen und zu Mbappé passen, der aus 18 Metern flach ins linke Eck abzieht. Das Spiel schien damit nach einer Stunde entschieden.
Doch lernte man in diesem Finale noch, dass ein Torhüter, der die Reihenfolge der Buchstaben L, O, R, I und S irgendwie im Namen trägt, grundsätzlich zu folgenschweren Patzern in einem Endspiel neigt. Wie Loris Karius (FC Liverpool) im Endspiel der Champions League gegen Real Madrid beförderte Frankreichs Torwart Hugo Lloris einen harmlosen Befreiungsschlag so unglücklich auf den Fuß des gegnerischen Stürmers, dass der Ball postwendend ins Tor trudelte.
In diesem Fall profitierte Mandzukic vom Lloris-Missgeschick. Mehr als Ergebniskosmetik war’s aber nicht. Die kroatischen Fans, unter 80 000 Zuschauern in der Überzahl, feierten den Vizeweltmeister, als sei es nicht nur der größte Erfolg der Verbandsgeschichte gewesen — sondern der WM-Titel.