Moskau. Kroatien steht am Sonntag gegen Frankreich im WM-Finale. Das liegt auch an Abwehrspieler Dejan Lovren. Seine bewegende Geschichte.

Dejan Lovren formte Herzchen in die Luft und weinte wie ein Baby. Er stand an der Fankurve in den Armen seiner Schwester, den Oberkörper entblößt, die Tattoos auf dem Arm freigelegt. Zuvor hatte er im WM-Halbfinale die gegnerischen Angreifer beharkt, jetzt brachen die Emotionen durch. Ganz hart, ganz weich und nicht der einzige Widerspruch in der Person des kroatischen Abwehrchefs, der wie vielleicht kein anderer für alle Brüche seines Teams und seiner Nation steht.

Lovren, 29, ist einerseits ein Spieler, der in der Kabine zusammen mit dem Kollegen Sime Vrsaljko nach dem Sieg gegen Argentinien den Refrain eines nationalistischen Rocksongs trällerte – ein Lied, in dem auch die faschistischen Grußformel „Za Dom Spremni" vorkommt, wegen derer öffentlichen Ansage im Stadion der ehemalige Hertha-Profi Josip Simunic von der WM 2016 ausgeschlossen wurde. Andererseits war es Lovren, der von allen Spielern des FC Liverpool nach den Patzern von Loris Karius im Champions-League-Finale die meiste Empathie zeigte. „Wir gewinnen und verlieren als Team“, schrieb er da und, auf Deutsch: „Du bist der beste Bruder“. Und es ist Lovren, der bei dieser WM von allen Kroaten mit die tiefsten Einblicke zulässt.

Die Familie flieht nach München

Nach dem jüngsten Sieg gegen England sprach er von der „großen Reise“, die sein Lebens ist und die ihn nun ins WM-Finale geführt hat. Sie beginnt mit drei Jahren und der Flucht der Familie vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg aus der bosnischen Stadt Zenica nach München. Dort war der kleine Dejan war schnell integriert, sprach perfekt Deutsch, spielte Fußball. Doch nachdem sich die Lage auf dem Balkan beruhigt hatte, bekam die Familie ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert. Sie zog nach Karlovac in Kroatien, einem neuen Land für die Familie. Die anderen Kinder machten sich über Dejan und seinen Akzent lustig. „Es dauerte zwei bis drei Jahre, ehe ich wieder glücklich war.“ Er habe damals gelernt, „dass das Leben hart ist“.

Diese Lektion sollte er noch öfter erdulden müssen, besonders bei seinem aktuellen Klub. Die Fans von Liverpool werden gern als Maß aller Dinge überhöht, aber sie können auch unbarmherzig sein, wenn sie es auf einen Spieler abgesehen haben. Und Lovren war so ein Opfer, nachdem er eine turbulente Phase des Vereins mit gelegentlichen Slapstick-Fehlern garnierte. Wie als Kind wurde er wieder von Selbstzweifeln geplagt. Vor der EM 2016 wurde er mit dem präpotenten Satz zitiert, entweder er werde als Stammspieler berufen oder er bleibe zuhause. Lovren blieb zuhause.

Klopp brachte Lovren in die Spur

Erst die Ankunft von Jürgen Klopp brachte ihn wieder in die Spur. Der Deutsche, loyal wie wenige, sagte ihm, dass er ihn für einen der besten Verteidiger der Welt halte. Und dass sich Lovren das ab sofort auch selbst sagen solle. Nun kann er es öffentlich sagen – „ohne arrogant sein zu wollen“, wie er in Moskau anfügte.

Denn während dieser WM verteidigte er in der Tat grandios, auch gegen England, dessen Presse vor dem Spiel extensiv an ein Duell mit Harry Kane in der Premier League im vorigen Oktober erinnert hatte, bei dem ein überforderter Lovren nach einer halben Stunde ausgewechselt wurde. Während er nach der Partie mit einer Gruppe von zumeist britischen Reportern zusammenstand, klopfte ihm von hinten Vedran Corluka auf die Schulter: „Football’s not coming home“, lachte der Teamkollege.

Doch Lovren sparte sich jeden Triumphalismus. „Ich würde euch jetzt gern alle nach Kroatien einladen, das solltet ihr sehen“, sagte er stattdessen über die Nachrichten von den Siegesfeiern zuhause. Und berichtete von einer SMS, die ihm Klopp geschrieben habe. „Er ist stolz auf mich. Er weiß, was ich durchgemacht habe. Er ist ein guter Mann.“