Sankt Petersburg. Es drohte das Aus, aber Argentinien hat es eben noch abgewendet: Ein später Treffer brachte das 2:1 gegen Nigeria - und Platz zwei.

Sankt Petersburg. In den „Weißen Nächten“ von Sankt Petersburg geht die Sonne nicht unter. Und singen die argentinischen Fans. Der Mitfavorit steht doch noch im Achtelfinale der Fußball-WM. Mit einem dramatischen 2:1 (1:0) gegen Nigeria qualifizierte sich die Mannschaft um Lionel Messi gestern in der nordrussischen Metropole für ein Rendezvous mit Frankreich. Die am Boden zerstörten Afrikaner müssen wie Island (1:2 gegen Kroatien) die Heimreise antreten.

Als der Mannschaftsbus eine Stunde vor Spielbeginn am Krestovski-Stadion ankam, sangen die Fans sich schon warm. Von 64468 Zuschauern waren geschätzt 40 000 Argentinier. An einem wundervollen Sommerabend ein harte Probe für ihre Nerven an. Die Spieler und sogar die Funktionäre trommelten gegen die Scheiben. Trainer Jorge Sampaoli, schwer angeschlagen in den letzten Tagen, verließ den Bus als erster. Lionel Messi als letzter, den Blick schwer fokussiert.

Wie herzlich die Spieler dann beim Warmmachen von den Anhängern begrüßt wurden, war schon fast bewegend angesichts der Vorgeschichte mit den schwachen Darbietungen bei diesem Turnier, den tumultösen Zuständen am Teamquartier und den giftigen Debatten in den Medien. Die Spieler grüßten die Fans nicht, aber sie hatten begriffen. Von der ersten Minute an warfen sie sich in jeden Ball, angeführt von Abräumer Javier Mascherano, dem Sprachrohr des Teams in den letzten Tagen.

Fußballerisch ließ der Mitfavorit wieder viel zu wünschen übrig, aus keinem der Verteidiger wird mehr ein Beckenbauer und für ein organisches Passspiel hapert es auf zu vielen Positionen. Aber zumindest Mascheranos wesentliches Argument schien zu greifen. „In unserer Lage brauchen wie Sicherheit, keine Unsicherheiten“, hatte er die von der Mannschaft geforderte Rückkehr zu einer Viererkette in der Abwehr und einem verstärkten Einsatz der Routiniers begründet.

Vor allem stellte sich die Hereinnahme von Éver Banega als Belebung heraus. Im Spielmacher von Sevilla hatte Messi einen Kollegen, der auf dem Platz in ähnlichen Dimensionen denkt. Banegas kreativer Pass hoch in die Schnittstelle ermöglichte ihm das 1:0, wobei die Weiterverarbeitung nicht weniger erstklassig war. Messi ließ den Ball auf dem linken Oberschenkel abtropfen, legte ihn sich mit links noch einmal vor und schoss mit seinem „schwächeren“ rechten Fuß halbhoch ins lange Eck. Alles aus einer Bewegung. Ein Tor des Barcelona-Messi, nicht des verhinderten Nationalhelden, den man zuletzt im Nationaltrikot gesehen hatte.

Es war ein großer Moment, und es folgte ein Orkan des Jubels. Messi sank in Erlöserpose auf die Knie und streckt die Hände zum Himmel, um wie immer seine verstorbene Großmutter zu grüßen. Derweil dankte auf der Tribüne der argentinische Fußball-Mythos Diego Maradona mit ähnlicher Geste dem Herrgott.

Messi war endlich im Turnier angekommen, doch Argentinien konnte aus dem Momentum kein Kapital schlagen. Nach einem Messi-Pass auf Gonzalo Higuaín konnte sich Nigerias Keeper Francis Uzoho dem Stürmer noch rechtzeitig in den Weg werfen (27.) und nach einem Messi-Steilpass auf Ángel Di María wurde dieser noch von Leon Balogun per Foul gestoppt, am Rande einer Notbremse (32.). Den folgenden Freistoß setzte Messi an den Pfosten.

In der zweiten Halbzeit zeigte sich dann wieder einmal, dass auch der Videobeweis dem Fußball nichts von seiner Schiedsrichterpolemik nehmen kann – aber die Psychologie eines Spiels enorm beeinflusst. Bei einem nigerianischen Eckball klammerte Mascherano leicht gegen Balogun, ohne ihn jedoch wirklich zu Boden zu reißen. Schiedsrichter Cakir aus der Türkei reichte es für einen Elfmeterpfiff, und die Videoschiedsrichter sahen keinen Anlass, ihn zu einem zweiten Blick zu animieren. Victor Moses verwandelte ohne nennenswerten Anlauf cool ins rechte Eck (51.).

Für Argentinien stellte sich dieser Rückschlag als ähnlich fatal heraus wie Messis verschossener Elfmeter gegen Island beim Stand von 1:1 der groteske Torwartfehler von Willy Caballero zum 0:1 gegen Kroatien. Die Fans wurden ungeduldig, Sampaoli tigerte fast bis zur Eckfahne an der Seitenlinie entlang. In der 76. Minute spielte Banega einen schlimmen Fehlpass und Marcos Rojo köpfte sich beim Klärungsversuch an die Hand. Diesmal bemühte Cakir den Videobeweis, entschied dann aber auf unabsichtliches Handspiel und keinen Elfmeter.

Es war die letzte, entscheidende Volte. Die Szene hauchte Argentinien das Leben für eine Schlussoffensive ein. Sampaoli warf in Agüero einen weiteren Mittelstürmer in die Partie. Doch es waren zwei Verteidiger, die in der 86. Minute das Tor erzwangen. Gabriel Mercado flankte von rechts und Rojo vollstreckte mit einer herrlichen Volleyabnahme. Argentinien und Messi stehen doch noch im Achtelfinale.