Venlo. Marcus Sorg steht als Vertreter von Joachim Löw im Rampenlicht. Bei seinem ersten Auftritt im neuen Amt wirkt er nervös.

Vielleicht soll sie ihm ein wenig Halt geben, die Trillerpfeife, die an einem gelben langen Band festgeknotet ist. Jedenfalls kramt sie Marcus Sorg kurz vor dem Beginn des Trainings am Montag in Venlo aus seiner Tasche, hält sie erst fest in seiner rechten Hand, lässt sie dann baumeln. Bevor er die Nationalspieler zusammenruft, um ihnen noch mal ein paar Worte vor der Einheit mitzugeben. Die ja seine erste ist, bei der die Profis nach seiner Pfeife tanzen sollen. Marcus Sorg ist plötzlich Zwei-Spiele-Bundestrainer.

Die Arterienverletzung von Joachim Löw sorgt dafür, dass Sorg in die erste Reihe rückt. Zunächst führt er die Mannschaft durch das Kurz-Trainingslager im niederländischen Venlo, dann muss er sie am Spielfeldrand bei den beiden EM-Qualifikationsspielen in Weißrussland (8. Juni) und gegen Estland in Mainz (11. Juni) durch die 90 Minuten leiten. In ausverkauften Stadien. Vor einem Millionenpublikum an den TV-Geräten. Noch könnte der 53-Jährige wohl an den meisten deutschen Fußball-Anhängern unerkannt vorbeischlendern, doch am Samstag, wenn der Ball in Weißrussland rollt, werden sie jede seiner Regungen analysieren. In Deutschland existieren eigentlich nur drei Personen, zu denen jeder eine Meinung hat: Bundeskanzlerin Angela Merkel, TV-Moderator Thomas Gottschalk – und eben der Bundestrainer. Da kann das Herz schon mal pochen.

Seit 2016 Mitglied im DFB-Trainerstab

„Ich würde jetzt nicht die Wahrheit sagen, wenn ich behaupten würde, dass es nicht ungewohnt ist“, sagt Marcus Sorg etwas verschroben, als er das Training beendet hat und nun vor den Journalisten Einblick in seine Gefühlswelt geben soll. Die Pfeife ruht wieder in seiner Tasche. Dafür knetet Sorg nun seine Hände, wackelt etwas am Mikrofon, rückt es zurecht. Von der Lockerheit, die er intern normalerweise verkörpert, ist hier auf dem Podium im Trainingszentrum des Erstligisten VVV Venlo kaum etwas zu spüren.

Deswegen klingt es auch fast so, als würde sich Sorg selbst Mut zusprechen, wenn er erzählt: „Natürlich ist es für mich sehr beruhigend, dass der Trainer mir schon immer vertraut hat.“ Oder: „Wir haben alles vorbereitet. Es steht schon das meiste.“ Und: „Ich bin seit 20 Jahren hauptberuflich Trainer. Ich bin es gewohnt, vor einer Gruppe zu sprechen.“ Nur eben nicht als Aushilfsbundestrainer.

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Von Thomas Tartemann und Marian Laske

Seit 2016 ist Sorg Mitglied im Trainerstab der Nationalmannschaft. Er hat sich seitdem profiliert, hat ein Vertrauensverhältnis zu Joachim Löw aufgebaut. Eigentlich fungierte Sorg zunächst nur als zweiter Assistent hinter Thomas Schneider, analysierte die Spiele mit einem Headset auf der Tribüne. Doch als nach dem WM-Debakel Schuldige gesucht wurden, musste Schneider gehen und nicht Sorg.

Gewinn der EM 2014 mit U19-Talenten

Innerhalb der Mannschaft hilft ihm zudem seine Arbeit als U19-Trainer. Von 2013 bis 2016 formte er die DFB-Talente, feierte mit ihnen im Jahr 2014 den Gewinn der Europameisterschaft. Sogar in Weißrussland trat er mit seiner Auswahl im Oktober 2013 schon an. Beim 2:1-Erfolg traf Serge Gnabry, den Sorg nun fast fünf Jahre später wieder im Osten Europas auf den Rasen schicken wird. Diesmal aber für die erste Mannschaft.

Neben seinen vielen Jugendstationen hat Marcus Sorg dann aber doch einmal die große Bühne des Profifußballs betreten. Als Trainer des Bundesligisten SC Freiburg – und dabei erlebt, was so passiert, wenn der Erfolg ausbleibt. Auf dem letzten Tabellenplatz wurde Marcus Sorg im Dezember 2011 rausgeschmissen, ein gewisser Christian Streich übernahm. „Am Ende des Tages wird der Trainer daran gemessen, was auf dem Platz herauskommt“, meint Sorg.

Das könnte aber ja auch bedeuten, dass er sich nun durch eine erfolgreiche Arbeit dafür empfiehlt, noch mehr zu werden als nur ein Zwei-Spiele-Bundestrainer. „Nein, da habe ich ganz sicher keine Intention. Da weiß Joachim Löw, dass er sich da voll auf mich verlassen kann“, sagt Sorg. Und lächelt dabei sogar etwas.