Spa. Die Umstrittene Rennwertung nach nur zwei Runden soll künftig abgeschafft werden. Die Team erheben Vorwürfe.

Halbe Punkte nach zwei Runden hinter dem Safety-Car, damit kommt der Große Preis von Belgien in die Geschichtsbücher der Formel 1. Doch der kürzeste WM-Lauf der Historie war eher ein Grand Prix des Grauens. Gesehen hat keiner was, weder die Fahrer im Cockpit noch die Fans, die dreieinhalb Stunden auf den Abbruch warten mussten. Max Verstappen wurde zum Sieger eines Rennens erklärt, das keines war. Titelverteidiger Lewis Hamilton, der jetzt nur noch mit drei Zählern führt, spricht nach dem Regen- und Regelchaos von einer „Farce".

Das natürliche Limit für den Großen Preis von Belgien wäre der Sonnenuntergang um 20.20 Uhr gewesen, doch Sonnenlicht hatte es schon seit Samstag nicht mehr gegeben in den Ardennen. Die Hoffnung auf ein reguläres Rennen war damit schon zum regulären Rennstart um 15.10 geschwunden, zu ausdauernd tief hatten sich die Wolken über den Circuit gesenkt, der schon im Trockenen eine der gefährlichsten Rennstrecken der Formel 1 ist. Nicht das viele Wasser an sich, aber die fehlende Sicht durch die Gischt war das Problem. Als auf der Fahrt in die Startaufstellung der Mexikaner Sergio Perez seinen Red Bull-Honda in die Reifenstapel gesetzt hatte, kam es nicht zu einem richtigen Rennstart, die Autos rollten nur einmal hinter dem Safety Car um die sieben Kilometer lange Berg- und Talbahn. Von da an begann ein zähes, zermürbendes Warten.

Farce von Spa zeigt, wie kompliziert das Reglement ist

Drei Stunden mussten alle warten, bis die Farce weiterging, nachdem die Rennleitung die übliche Zeitbegrenzung mit Hinweis auf „höhere Gewalt" ausgehebelt hatte. Denn der Plan der Funktionäre war schon früh klar: Zwei Runden mussten komplett gefahren werden, damit zumindest halbe WM-Punkte vergeben werden konnten. Tatsächlich führte dann um 18.17 Uhr der Schorndorfer Bernd Mayländer mit dem Safety-Car die 20 Rennwagen für das Rundenminimum mit geringer Geschwindigkeit um die Piste, dann kamen die roten Flagge und wenig später der endgültige Abbruch.

Die Wertung zeigt, wie kompliziert das Formel-1-Reglement ist. Gezählt wurden offiziell sogar drei Runden, denn in der Boxengasse wurde die so genannte Kontroll-Linie überfahren, es galt aber das Resultat am Ende der ersten Runde. Das spielte aber keine Rolle, da ohnehin die Reihenfolge des Qualifikationstrainings entscheidend war, das am Samstag ebenfalls extrem durch Regenfälle beeinträchtigt worden war. Einer der Profiteure unter chaotischen Bedingungen war der Brite George Russell, der das Hinterbänklerauto von Williams auf den zweiten Startplatz gefahren hatte, zwischen die WM-Kandidaten Verstappen und Lewis Hamilton.

Der Rekord für das kürzeste Rennen der Königsklasse waren bislang die 14 Runden von Adelaide 1991, als die australische Piste überflutet worden war. Das Wasser auf dem Circuit Spa-Francorchamps war allerdings nicht das größte Problem, es ging mehr um die Sicht. Denn die war für alle, die Max Verstappen folgen mussten, praktisch nicht vorhanden. Rekordweltmeister Lewis Hamilton berichtete über die Sichtverhältnisse in einem Rennen, das keins war: „Man hat nicht mal die Rücklichter des Vordermanns fünf Meter vor einem erkennen können." Die halbe Punktzahl hatte es zuletzt 2009 im Monsun von Malaysia gegeben, als der Mönchengladbacher Nick Heidfeld mit dem Sauber-BMW Zweiter wurde.

Verstappen: Zuschauer sind "die wahren Sieger"

„Es ist kein Erfolg, wie ihn man sich wünscht", gestand Max Verstappen nach dem ausgefallenen Duell. Aber natürlich nimmt er ihn gern mit. Wie eigenartig die Darbietung war, zeigt allein die Tatsache, dass dem bislang glücklosen Russen Nikita Mazepin pro forma eine schnellste Runde zugeschrieben wurde – hinter dem Safety Car. Auch für ihn waren die ausharrenden Zuschauer „die wahren Sieger". Schon am Sonntag hat der Niederländer mit der belgischen Mutter in Zandvoort sein zweites Heimspiel in einer Woche.

Kontrahent Hamilton sah später so Rot wie die Abbruchflagge: „Es gab keinen Moment, in dem wir hätten ein Rennen fahren können. Wir hätten es gleich abbrechen müssen, nichts riskieren und vor allem die Fans entschädigen sollen." Für den Briten war klar, worum es ging: „Geld regiert die Welt. Es ging nur darum, uns auf die zwei Runden rauszuschicken. Jetzt bekommen alle ihr Geld. Aber das war eine schlechte Entscheidung für unseren Sport." Die Funktionäre widersprachen sofort, sie hätten eben nur alles dafür getan, um vielleicht doch noch ein Rennen zu ermöglichen. Doch für Hamilton glich die Situation jener beim Saisonstart 2020 in Australien, als weltweit schon die Pandemie wütete. Damals galt sein Satz „Cash is King" als Auslöser für die Absage in letzter Minute. Die Stimme des populärsten Fahrers – und des größten Verdieners – hat Gewicht.

Auch McLaren-Boss Zak Brown sagt, dass die Formel 1 bessere Lösungen für solche Fälle brauche: „Niemand würde behaupten, dass es sich um ein Rennen gehandelt hat." Aber die vergebenen Punkte können entscheidend sein – für das Titelduell ebenso wie für die Preisgeldausschüttung am Saisonende. Die Teamchefs wollen Druck ausüben, zugleich aber brauchen sie natürlich das Geld, nachdem gerade erst der WM-Kalender wegen der Pandemie auf 22 Rennen verkürzt worden ist. „Für manche war es ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk", sagt Fernando Alonso, der als Elfter leer ausging. Der Heppenheimer Sebastian Vettel, als Fünfter gewertet, bemühte einmal mehr den gesunden Menschenverstand: „Wenn es kein Rennen gibt, sollte es auch keine Punkte geben. Alles andere wäre merkwürdig." So ist die Formel 1 aber manchmal.