Berlin/Frankfurt. Der DFB sucht einen Bierhoff-Nachfolger, Favorit Bobic hält sich bedeckt. Klar ist: Auf den neuen Mann und den Verband warten gewaltige Aufgaben

Fredi Bobic gibt sich entspannt. An diesem Donnerstag werde er um halb sieben im Flieger in den Urlaub sitzen, erzählte der Sportgeschäftsführer von Hertha BSC. Und nein, seine Reiseroute führe ihn nicht über Frankfurt. Dabei wäre das nicht groß verwunderlich gewesen: Der Frankfurter Flughafen ist der größte Deutschlands, viele Flugreisende müssen hier umsteigen. Zudem, und darauf zielte die Aussage natürlich ab, sitzt in Frankfurt der Deutsche Fußball-Bund.

Der ist nach dem Abgang von Oliver Bierhoff auf der Suche nach einem neuen Geschäftsführer für die Nationalmannschaften und die Akademie. Nach einer neuen Führungskraft also, die sportliche Kompetenz und wirtschaftliches Wissen vereint. Kurz: nach einem wie Bobic.

Fredi Bobic ist beim DFB der Favorit

Der 51-Jährige, so ist aus dem Verband zu hören, ist einer der Favoriten auf die Nachfolge Bierhoffs. Und Bobic gibt sich am Mittwochvormittag in einer Medienrunde nun alle Mühe, darüber zu reden, ohne wirklich etwas zu sagen: „Wenn der Name fällt, nimmt man das zur Kenntnis“, meint er. Aber er sei doch gar nicht auf der Suche nach einer Aufgabe. „Ich habe einen Job, fühle mich sauwohl und merke, wie sich die Dinge bei Hertha in die richtige Richtung drehen“, sagt er. „Ich habe gar keinen Kopf für Themen, die den DFB angehen.“ Aber: „Hypothetisch kannst du dir viel vorstellen, im Fußball kannst du nichts ausschließen.“

Fredi Bobic.
Fredi Bobic. © dpa

Man kann die Worte drehen und wenden wie man will: Eine Zusage an den DFB sind sie nicht – aber auch keine Absage. Bobic hält sich alle Türen offen, und so ist interessanter, was er allgemein zu sagen hat zum Deutschen Fußball-Bund: „Der DFB muss sich einig sein, was sie überhaupt wollen, welches Profil sie brauchen, welche Inhalte begleitet werden sollen“, fordert er. „Das muss erst mal geklärt werden, bevor wir über Personen reden.“ Und eins noch: „Wir haben mit der EM 2024 eine große Aufgabe, mit der wir die Stimmung drehen können.“

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Die Stimmung drehen – das dürfte tatsächlich die größte Aufgabe für denjenigen sein, der irgendwann auf Bierhoff folgt. Und für alle anderen, die beim DFB Verantwortung tragen. Denn nicht erst die enttäuschende Weltmeisterschaft in Katar hat gezeigt: die Nationalmannschaft und die Menschen im Land haben sich tüchtig auseinandergelebt.

Nicht einmal neun Millionen Zuschauer wollten das WM-Auftaktspiel gegen Japan sehen, nur rund 17 Millionen die beiden Partien danach. Vier Jahre vorher waren es nie weniger als 25 Millionen Zuschauer gewesen. Und erste Umfragen nach dem Turnier untermauern: Die emotionale Begeisterung für die Nationalmannschaft ist spürbar gesunken, über zwei Drittel der Fans stufen diese als geringer ein als bei anderen Weltmeisterschaften. Als Begründung nennen sie neben der Austragung des WM-Turniers kurz vor Weihnachten vor allem das Gebaren des DFB und der Fifa. Erst an vierter Stelle folgt das sportliche Auftreten der Mannschaft. „Gerade mit Blick auf die EM 2024 muss sich der DFB bewusst machen, dass es sich hier teils um alarmierende Werte handelt“, sagt Professor Harald Lange vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Würzburg, der an der Studie beteiligt war.

MagentaTV-Experte Michael Ballack bezeichnet den Rücktritt Bierhoffs als „logischen Schritt zu seiner Person.“ Den Video-Clip seiner Analyse finden Sie hier.

Denn die Ergebnisse zeigen: Allein sportlicher Erfolg wird nicht reichen, um den Graben zuzuschütten. Die Fans vermissen Glaubwürdigkeit und Transparenz, sie nehmen die Nationalmannschaft als abgehoben wahr, weit entfernt von der Basis. Es ist das Ergebnis eines langen, schleichenden Prozesses. Die verkorkste Weltmeisterschaft 2018 mit den Debatten um Mesut Özil und Ilkay Gündogan hat die Entwicklung beschleunigt, aber nicht ausgelöst.

Große Kritik an Kommerzialisierung

Bei allen Verdiensten Bierhoffs: Der Nationalmannschaftsmanager schien schon lange das Gespür dafür verloren zu haben, wie die Menschen im Land, in den Kneipen, auf den Tribünen und an den Amateur-Plätzen, über Fußball reden und denken. Sinnbild dafür waren Slogans wie „Die Mannschaft“ oder #zsmmn, die bei der Basis vor allem Stirnrunzeln auslösten. Oder der Fanclub Nationalmannschaft, den Bierhoff gründen und dann von einem Getränkekonzern sponsorn ließ – weshalb kein Fanclub aus der Bundesliga ihn jemals ernstnahm, denn Fanclubs werden nicht gesponsort. Zu viel BWL, zu wenig Bolzplatz, das ist die Stimmungslage im Land. Beim DFB spürte man das zwar. Als aber Bierhoff erklärte, er wolle den Prozess „mit den Stakeholdern“ diskutieren, zeigte er damit nur, wie wenig man verstanden hatte.

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Und zu dem abstrakten kommen einige handfeste Probleme: Die aktuellen Nachwuchsjahrgänge des sind im internationalen Vergleich schwach, es drängen kaum Talente nach – die sportliche Durststrecke könnte noch viel länger werden. Und die kostet Geld: Die DFB-Verantwortlichen hatten mit dem Erreichen des Viertelfinals kalkuliert, was 16 Millionen Euro an Prämien gebracht hätte. Durch das Vorrundenaus ist es gerade einmal die Hälfte geworden.

DFB mit gewaltigen Geldsorgen

Und die Geldsorgen sind ohnehin gewaltig im Verband. Am Freitag muss der neue Schatzmeister Stephan Grunwald den Jahresabschluss für 2021 präsentieren, und der enthält bei einem Gesamtvolumen von etwa 450 Millionen Euro voraussichtlich ein Minus von über 30 Millionen – noch ohne die entgangenen WM-Einnahmen. Gleich mehrere Probleme reißen Löcher in die Kassen: Der neue DFB-Campus ist mit über 150 Millionen Euro deutlich teurer geworden als geplant, die Zinskosten steigen und auch die Betriebskosten liegen viel höher als erwartet. Außerdem liegt der Verband im Clinch mit den Steuerbehörden, die für die Jahre 2014 und 2015 die Gemeinnützigkeit aberkennen wollen. Allein dafür muss der DFB Rückstellungen von über 46 Millionen Euro bilden.

Wer auch immer Bierhoff folgen sollte: Er dürfte schnell deutlich weniger entspannt sein als Fredi Bobic am Mittwochvormittag.

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