Al Ruwais. 2010 ging ihre gemeinsame WM-Geschichte in Südafrika los. 2014 wurden sie in Brasilien Weltmeister. In Katar aber starten Kapitän Neuer und Offensiv-Leader Müller aus verschiedenen Positionen.

Thomas Müller hat eine ganz besondere Gabe. Und die schätzt auch Hansi Flick sehr an seinem Offensiv-Leader.

Der mit Bayern-Kollege Manuel Neuer erfahrenste Fußball-Nationalspieler im WM-Kader des Bundestrainers ist nämlich auch dann noch für einen lockeren Spruch zu haben, wenn es bei ihm wie vor dem Turnier in Katar nicht nach Wunsch läuft.

„Ist doch alles gesagt, Samstag trainieren ma“, beschied der 33 Jahre alte Müller die Reporter, als sie ihn nach seiner fortgesetzten Zuschauerrolle beim letzten WM-Test in Maskat gegen den Oman (1:0) zu seinem Fitnesszustand befragten. Und dann verblüffte Müller gleich wieder und stand wie auch der zuletzt ebenso angeschlagene Antonio Rüdiger mit einer kleinen Trainingsgruppe am eigentlich freien Freitag schon auf dem Trainingsplatz in der roten Trutzburg des Al-Shamal-Stadions.

Diese Entwicklung machte Hansi Flick sicherlich Hoffnung. Doch auch nach dem Umzug ins WM-Quartier im katarischen Wüstensand darf weiter gerätselt werden: Wird Müller bis zum Auftaktspiel der Nationalmannschaft am Mittwoch gegen Japan rechtzeitig fit? Und welche Rolle wird er einnehmen bei seinem vierten (und wohl letzten) WM-Turnier?

Bei Müllers Weggefährten Neuer ist das nach einer Schulterblessur im Vorfeld längst geklärt. Der 36 Jahre alte Kapitän steht wieder im Tor. Und der „ewige Manu“ sollte in Katar sogar zum Rekordtorwart der WM-Geschichte aufsteigen. Um DFB-Legende Sepp Maier und den Brasilianer Cláudio Taffarel zu überholen, die auf jeweils 18 Einsätze kommen, reichen Neuer bereits die drei Gruppenspiele gegen Japan, Spanien und Costa Rica. Dann hätte er 19.

„Torwartspiel auf ein anderes Niveau gebracht“

Flick rühmte Neuer schon mal vorab. „Manuel hat das Torwartspiel auf ein anderes Niveau gebracht. Er ist für mich nach wie vor die Nummer eins auf der Welt. Wir sind absolut happy, dass er wieder gespielt hat vor der WM und auch hier zeigt, welche Qualität er hat“, sagte der Bundestrainer. Neuer spricht fürs Team - und Flick viel mit ihm. „Ich kenne Manuel schon sehr lange. Er ist für mich immer schon ein wichtiger Ansprechpartner gewesen, ob das beim FC Bayern war oder bei der Nationalmannschaft. Er hat eine sehr große Erfahrung.“

Neuer will noch einmal Weltmeister werden. „Wir fahren jetzt richtig hoch“, sagte er nach dem wenig erbaulichen Oman-Spiel. Müllers Ehrgeiz ist ebenfalls bekannt. Neuer und Müller - ihr Weg verlief in den vergangenen zwölf Jahren meist parallel. Bei der ersten WM 2010 in Südafrika profitierte der damals 24-jährige Neuer vom Ausfall des verletzten René Adler, den Bundestrainer Joachim Löw eigentlich zur Nummer eins ausgerufen hatte. Müller, damals gerade 20, schoss bei seinem spektakulären Turnierdebüt empor zum Torschützenkönig (5 Treffer). Mit 118 Länderspielen führt er die Einsatzliste im 26-Mann-Kader des DFB für Katar knapp vor Neuer (114) an.

Dreimal gemeinsam in WM-Anfangsformation

Beide zählten 2010, 2014 und 2018 im WM-Auftaktspiel jeweils zur Anfangsformation. Zweimal gelang der Start: 2010 traf Müller beim 4:0 gegen Australien, 2014 sogar dreimal beim 4:0 gegen Portugal. Nur vor vier Jahren müllerte es im ersten Spiel nicht, als die DFB-Auswahl zum Start 0:1 gegen Mexiko verlor. Und diesmal, bei WM Nummer vier, ist ein Einsatz Müllers von Beginn an alles andere als gewiss. Beim 4:0 der Bayern gegen Leverkusen am 30. September stand Müller zuletzt 90 Minuten auf dem Platz. Es folgten noch drei Teileinsätze, ansonsten bremste ihn sein Körper aus, mal wegen Corona, mal wegen eines Infektes, zuletzt wegen Rücken-, Hüft- und muskulären Problemen. Von „Stop and Go“ sprach Müller genervt.

Stop and Go auch in Katar? Flick beschwichtigt. „Natürlich hat Thomas jetzt eine lange Pause gehabt. Aber er ist gut vorbereitet.“ Und Müller werde am Samstag ebenso wie der zuletzt angeschlagene Abwehrchef Antonio Rüdiger erstmals „voll mit der Mannschaft trainieren“. Aber setzen für die Startelf gegen Japan mochte Flick den Routinier vorab nicht. Es gibt massig Konkurrenz, nicht nur in Person von Bayern-Jungstar Jamal Musiala.

Flick hält sich alle Optionen offen

„Letztendlich haben wir auf den Positionen vorne sehr gute Qualität. Die brauchen wir auch für ein erfolgreiches Turnier“, sagte Flick. Er hält sich vor den letzten Trainingstagen alle Optionen offen: „Da geht es darum, was die Spieler uns anbieten. Wenn sie uns ihre Top-Performance zeigen, wird es für uns Trainer sehr schwierig, vorne die richtigen Spieler einzusetzen.“ Ohne Spielpraxis könnte Müller erstmals eine WM auf der Bank beginnen.

Für Flick liefert der Kommunikator und Vollblut-Fußballer Müller aber stets einen Mehrwert fürs Team. „Wenn sich ein Trainer einen Spieler schnitzen könnte: Thomas Müller wäre das Resultat“, äußert der Bundestrainer im neuen DFB-Journal. „Das Gesamtpaket, das er anbietet, ist herausragend. An ihm und seiner Einstellung können sich alle ein Beispiel nehmen, Thomas ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich und sehr besonders. Für die Mannschaft hat er einen Wert über die sportlichen Fähigkeiten hinaus.“

Müller bringe mit, was Amazon-Gründer Jeff Bezos mit „Tag-1-Mentalität“ beschrieben habe, erzählt Flick. „Der erste Tag der Verliebtheit, der erste Tag im neuen Job, der erste Tag in der Schule. Die Kunst besteht darin, sich den Zauber des Anfangs zu bewahren. Und Thomas lebt dies jeden Tag vor. Er ist von allen Spielern in unserem Kader mit am längsten dabei, er hat viel erlebt, und trotzdem spürt man bei ihm immer, dass er so sehr brennt, als wäre es der erste Tag.“

Am ersten deutschen WM-Tag gegen Japan würde aber auch Müller am liebsten - wie Fixstarter Neuer - im Khalifa International Stadion auf dem Platz stehen.