Frankfurt/Sevilla. Eintracht Frankfurt kämpft am Mittwoch gegen die Glasgow Rangers um den Europa-League-Titel. Es könnte der größte Tag der Klubgeschichte werden.

Vermutlich hat selten die Aufschrift vor dem Eintracht-Museum unter der Haupttribüne der Frankfurter Arena so gut gepasst wie jetzt. „Glorreiche Zeiten, traurige Tage“ steht in weißen Versalien an der Glasfront. Das Auf und Ab dieses Vereins bündelt sich nun in dem Europa-League-Finale gegen die Glasgow Rangers, wenn der hessische Bundesligist in Sevilla (Mittwoch, 21 Uhr/RTL) Geschichte schreiben will.

Bisher sind acht Jahreszahlen an die Museumsfenster geklebt. Von 1899 (Vereinsgründung) über 1959 (Deutscher Meister), 1974 (DFB-Pokalsieger) und 1980 (UEFA-Cup-Sieger) bis 2018. Darunter steht nicht Pokalsieger, sondern lediglich „Bruda“ - der legendäre Ausruf vom Pokalhelden Ante Rebic. Welcher Slogan bleibt aus 2022 hängen? Und gelingt es überhaupt, als erster deutscher Klub seit Entstehung der Europa League 2009/2010 zu reüssieren?

Almamy Touré ersetzt Martin Hinteregger

Beim Abschlusstraining auf dem sonnenüberfluteten Rasen vor der Arena feuerte Trainer Oliver Glasner seine Spieler fast schon demonstrativ an. „Go, go! Jetzt alle!“ schrie der 47-Jährige, der keine Geheimnisse aus seiner Startelf gegen die kampfeslustigen Schotten machte: Almamy Touré ersetzte den verletzten Martin Hinteregger, auch der zuletzt fehlende Jesper Lindström mischte tatkräftig mit.

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Der Ball lief prima durch die ganz in Schwarz gekleideten Reihen der Stammspieler, die beim beim Showdown im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán allerdings wieder ganz in Weiß auflaufen. Die „Bestia Blanca“, die weiße Bestie, wie es seit dem Sieg beim FC Barcelona über die Eintracht heißt, hat sich einen Namen gemacht. „Wir genießen es, jetzt so im Rampenlicht zu stehen und den Adler in die Welt zu tragen“, beteuert Kapitän Sebastian Rode.

Trainer Oliver Glasner will "Eintracht-Frankfurt-Fußball" sehen

Noch eine magische Nacht in Andalusien, wo die Hessen ja schon zum Achtelfinale bei Betis Sevilla Station gemacht haben, dann wären neue Helden geboren. „Carpe diem – genießt die Zeit“, hat Glasner als Credo für größte Dienstreise der Vereinsgeschichte ausgegeben. Der Österreicher warnt davor, dieses Spiel zu groß zu machen und zu verkrampfen. Irgendetwas ändern will er jetzt mal gar nicht. „Das ist wie beim Abitur: Entweder man ist vorbereitet oder nicht.“ Er möchte ein letztes Mal in dieser Saison „Eintracht-Frankfurt-Fußball“ sehen. Nur bitte das Galadinner aus dem Europapokal, nicht die Hausmannskost aus der Bundesliga.

Konzentrierte Anspannung: Eintracht-Trainer Oliver Glasner (rechts) und Kapitän Sebastian Rode.
Konzentrierte Anspannung: Eintracht-Trainer Oliver Glasner (rechts) und Kapitän Sebastian Rode. © Getty

Was auffiel am Dienstag, war die prächtige Laune bei der letzten Einheit, als sich die Akteure über jedes Mini-Erfolgserlebnis wie kleine Kinder freuten. Hinter den Sichtblenden wartete hernach nicht mal eine Handvoll Autogrammjäger auf die Helden in spe. Der überwiegende Teil der Anhänger ist entweder längst in Sevilla oder noch auf den abenteuerlichsten Wegen dorthin.

50.000 Eintracht-Fans in Sevilla

Die „Adler-Invasion“, von der Vorstandssprecher Axel Hellmann spricht, stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten: Rund 50.000 Eintrachtler dürften es letztlich sein, die sich die Stunden vor Anpfiff auf dem Prado de Sebastián gleich neben der Plaza Espana bei der Fanparty in Stimmung bringen. Die Kultband Tankard schmettert dort ihr „Schwarz-Weiß wie Schnee“. Ins Estadio Ramón Sánchez-Pizjuán werden es wohl 13.000, 14.00 Eintracht-Fans schaffen – auf offiziellem Wege standen dem Frankfurter Lager 10.000 Karten zu.

Tausende Fans von Eintracht Frankfurt haben sich auf den Weg nach Sevilla gemacht.
Tausende Fans von Eintracht Frankfurt haben sich auf den Weg nach Sevilla gemacht. © dpa

Die aktive Fanszene hat der Klub laut Hellmann ganz bewusst bevorzugt: „Wir wollen den Furor von den Rängen auf den Platz bringen.“ Und das können die, die auch gegen Bochum und Fürth singen und grölen, offenbar besser und lauter. Trotzdem sind selbst viele der hartgesottenen Ultras leer ausgegangen – und dementsprechend sauer. Aber was sollen die Rangers erst sagen? Die aus Schottland angereiste Anhängerschar soll vor Ort fast doppelt so groß sein, wenn nicht noch die Fähren aus Nordafrika streiken. 50.000 Rangers-Supporter sollen dann auf Leinwänden im Olympiastadion von Sevilla das Finale schauen. Wie verrückt ist das?

Der Sieg wäre mindestens 30 Millionen Euro wert

Die Dimensionen dieses Europa-League-Endspiels sind jedenfalls die größten, die dieser Wettbewerb je erlebt hat. „Das wird ein einmaliges, und sehr, sehr großes stimmungsvolles Finale“, sagt der 50-jährige Hellmann, den die Zusammenballung von so viel Tradition extrem freut. Die Eintracht hat gerade ihr 100.000 Vereinsmitglied begrüßt, die Rangers feiern just ihr 150-jähriges Vereinsjubiläum. Ein Cupsieg würde jedem Klub extrem viel bedeuten – auch wirtschaftlich übrigens. Minimum 30 Millionen Euro wäre die Uefa-Prämie, der Einzug in die Champions League und die Teilnahme am Supercup-Finale gegen Real Madrid oder den FC Liverpool wert.

Auch die Fans der Glasgow Rangers sind laut, stimmungsvoll - und zahlreich.
Auch die Fans der Glasgow Rangers sind laut, stimmungsvoll - und zahlreich. © dpa

Diese Perspektiven werden bei den Frankfurter Funktionären allenfalls am Rande thematisiert, weil die Fallhöhe enorm ist – das geht bei all der Euphorie ein bisschen unter. Die Eintracht mag sich mit fünf Halbfinalteilnahmen in DFB-Pokal oder Europa League den vergangenen sechs Jahren ja wirklich prächtig entwickelt haben, so spielt der aktuelle Kader dennoch nicht weniger als um seine Zukunft.

Tuta hat verlängert - was wird aus Kostic und Kamada?

Nicht bei alles ist es so klar, wie beim Abwehrtalent Tuta, der einen Tag vor dem Finale vorzeitig bis 2026 verlängerte. Dampfmacher Filip Kostic, Verteidiger Even Ndicka und ganz gewiss Edeltechniker Daichi Kamada wären bei ihrer Vertragssituation logische Kandidaten für einen Sommertransfer.

Die Königsklasse brächte das nötige Kleingeld, sie zu behalten. Deshalb steht für Eintracht Frankfurt mehr auf dem Spiel, als der Klub eigentlich zugibt. Es wäre nicht das erste Mal, wenn aus einem Traum am Ende ein Trauma wird – und alles in einem Meer von Tränen endet. Auch darin ist die launische Diva vom Main aus ihrer Geschichte geübt. Wer möchte, findet im Museum genügend Belege.