Essen. Eishockey-Star Alexander Owetschkin gehört zu den besten Spielern der Geschichte. Doch der Russe steht in der Kritik.

Schon mehr als 25 Jahre gibt es inzwischen den Viter Ukrainian Choir. Eine solche Stimmgewalt wie am Mittwochabend im Rogers Place von Edmonton, Kanada, aber haben die Sängerinnen und Sänger wohl noch nie erzeugt. Nicht mit Tönen und Klängen, wie es diese Profession eigentlich vermuten ließe. Nein, es ging viel mehr um eine politische Botschaft unmittelbar vor dem Eishockey-Spiel zwischen den in Edmonton beheimateten Oilers und den Washington Capitals in der nordamerikanischen Profiliga NHL: Der Chor sang Kanadas Nationalhymne – aber auf Ukrainisch.

Ein Zeichen, das ohnehin schon bemerkenswert ist, aber an diesem Abend noch ein mal eine andere Dimension bekam. Denn auf dem Eis stand auch Alexander Owetschkin.

Der 36-Jährige ist einer der Größten, die dieser Sport je gesehen hat. Seit 2004 spielt er in der NHL, gewann mit Washington 2018 den Stanley Cup, die Meisterschaft. Erst Anfang der Woche zog Owetschkin mit dem tschechischen Ausnahmespieler Jaromir Jagr gleich: 766 Tore in der Eliteliga – nur Wayne Gretzky (894) und Gordie Howe (801) erzielten mehr. „Es ist natürlich immer schön, solche Meilensteine, solche Zahlen von sich zu hören“, sagte Owetschkin.

"Putin Team" vor der russischen Wahl 2018 gegründet

Weniger erfreulich für ihn ist allerdings, was sich der Eishockey-Superstar derzeit sonst so in den Arenen Nordamerikas anhören lassen muss. Überall, wo er aufschlägt, wird er ausgebuht. Nicht, weil Owetschkin Russe ist und sein Land einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet hat. Wohl aber, weil er nicht die Reichweite nutzt, die er als Sport-Legende eigentlich hätte, um den Krieg als das zu bezeichnen, was er ist: ein völkerrechtswidriger Überfall, befohlen vom Kreml-Chef Wladimir Putin.

Stattdessen duckt sich Owetschkin weg, sprach sich allgemein für Frieden aus und meinte in Richtung Putin, dass der zwar sein Präsident sei. Owetschkin selbst aber betonte, Sportler zu sein, nicht Politiker.

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und Alexander Owetschkin im Jahr 2014.
Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und Alexander Owetschkin im Jahr 2014. © Getty Images

Doch der Eishockey-Profi ist gar nicht so unpolitisch, wie er vorzugeben scheint. Vor der russischen Präsidentschaftswahl 2018 gründete er das „Putin Team“, eine Wahlkampf-Organisation, laut russischen Medienberichten finanziert vom Kreml. Dabei gehe es, behauptete er, nicht um Politik, sondern darum, sein Land zu unterstützen. Sein Profilbild auf Instagram zeigt noch immer ein gemeinsames Foto mit Putin, der selbst großer Eishockey-Fan ist. Für die Weltmeisterschaften, die während der NHL-Saison ausgetragen werden, stand Owetschkin trotz hoher Belastung fast immer zur Verfügung. Um Russland zu präsentieren, genauer: Putins Russland.

Und 2014, nachdem Russland die Krim annektiert hatte, reihte sich Owetschkin schamlos in die Riege der Kreml-Propagandisten ein: Dort seien Kinder vor dem Faschismus gerettet worden – eine Lüge. Schon damals stellte man Owetschkin die Frage: Wie bloß kann er mit sich vereinbaren, einen Angriff auf einen Verbündeten der USA gutzuheißen, gleichzeitig aber alle Vorzüge dieses Landes ausnutzen und zum Multimillionär aufsteigen?

Anfeindungen gegen russische Profis

Bis heute gibt es dafür keine eindeutige Erklärung. Laut New York Times habe Owetschkin in den vergangenen Tagen versucht, sein Instagram-Bild mit Putin zu löschen. Doch aus Angst vor möglichen Konsequenzen für seine Familie und sich seitens Russlands sei ihm davon abgeraten worden.

Owetschkins politische Schlitterpartie geht weiter. Sein Arbeitgeber, die Washington Capitals, lässt seinen Kapitän gewähren. Die ukrainische Fahne ist in der Arena verboten. In einer Mitteilung verurteilten die Capitals den Angriffskrieg, stellten sich aber schützend vor ihre russischen Profis Owetschkin, Jewgeni Kusnezow, Dimitri Orlow und Ilja Samsonow. Teils verständlich. Es soll Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen gegeben haben, berichten Spielerberater.

Was in den anderen Arenen passiert, können die Washington Capitals nicht beeinflussen. In Edmonton, das in der Provinz Alberta liegt, wo rund 345.000 Menschen ukrainischer Herkunft leben, positionierten sich die Oilers um den deutschen Nationalspieler Leon Draisaitl durch die Chor-Einlage eindeutig. Und der 4:3-Sieg – ein wichtiger im Rennen um die Play-off-Plätze – schmeckte umso süßer.