Dschiddah. Max Verstappen und Lewis Hamilton reisen punktgleich zum Formel-1-Finale nach Abu Dhabi. Aus der Rivalität ist Feindschaft geworden.

Wo anfangen nach einem Rennen, das vermutlich das verrückteste, chaotischste, umstrittenste in diesem Jahrtausend war?

Der Große Preis von Saudi-Arabien, der mit dem dritten Rennsieg von Lewis Hamilton in Folge endet, sorgt für einen Punktegleichstand zwischen dem Titelverteidiger und seinem diesmal zweitplatzierten Herausforderer Max Verstappen vor dem Finale am Wochenende in Abu Dhabi. Es könnte das dramatischste seit Jahren werden, vielleicht auch das schmutzigste. Die Dinge spitzen sich zu, schon droht der nächste Wahnsinn in der Wüste.

Offene Feindschaft zwischen Verstappen und Hamilton

Beim vorletzten WM-Lauf war am Arabischen Golf so ziemlich alles außer Kontrolle geraten, nicht mal mehr die Rennleitung hatte die vielen kleinen und großen Dramen nach zwei Abbrüchen und Neustarts richtig im Griff. Zwischen Mercedes und Red Bull Racing wird es zunehmend ungemütlicher. Aus Anfeindungen im Kampf um den klitzekleinsten sportlichen Vorteil ist eine offene Feindschaft geworden. Das spannendste Titelrennen seit Jahren droht in eine rücksichtslos geführte Fehde abzugleiten.

Verstappen, der plötzlich wieder um die Erfüllung seines schon so nahe gerückten Lebenstraumes bangen muss, macht einmal mehr auf harmlos. Er verstehe die Welt nicht mehr, nachdem er für eines seiner grenzwertigen Manöver nachträglich nicht nur zehn Extra-Sekunden und zwei Strafpunkte aufgebrummt, sondern auch offiziell bescheinigt, dass seine Fahrweise „unberechenbar" sei.

Verstappen verließ Siegerehrung vorzeitig

Schwer zu sagen, ob es Überehrgeiz ist, der dem über weite Strecken dieser Saison so kontrollierten Verstappen nun zum Verhängnis wird. Ob er mit dem gestiegenen Druck dann doch nicht fertig wird, und in uralte Verhaltensmuster zurückfällt, die ihm als permanenten Pistenschreck den wenig schmeichelhaften Kampfnamen „Mad Max" eintrugen.

Lewis Hamilton reist punktgleich mit seinem Rivalen Max Verstappen nach Abu Dhabi. Die Formel 1 hat ihr großes Finale.
Lewis Hamilton reist punktgleich mit seinem Rivalen Max Verstappen nach Abu Dhabi. Die Formel 1 hat ihr großes Finale. © dpa

Oder sind es in dem von seinem Rennstall extra aufgeheizten Duell einfach nur die Nerven, die versagen? Dass er auf dem Siegerpodium nicht mit Lewis Hamilton anstoßen mochte und die Zeremonie vorzeitig verließ, kann nicht nur am Rosenwasser in den Magnumflaschen gelegen haben.

Gefährliche Manöver auf dem Kurs in Dschiddah

Da war Verbitterung dabei, Trotz, Übermut, vielleicht auch ein bisschen Arroganz. Um die Mercedes-Ära zu beenden, schien jedes Mittel Recht. Das war sicher spannend anzusehen, aber richtig Spass machte so etwas auf Dauer nicht. Eines angehenden Weltmeisters würdig waren die Aktionen auf dem so schnellen wie gefährlichen Straßenkurses an der Corniche von Dschiddah nämlich nicht.

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Mit Hamilton, der vor ein paar Wochen schon keine realistische Chance auf den achten WM-Titel mehr zu haben glaubte, traf er aber auf den Falschen. Der Titelverteidiger mag genervt sein von den immer neuen unfeinen Attacken, von denen es in Saudi-Arabien nur so wimmelte, aber er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Hamiltons 103. Grand-Prix-Sieg mit Hindernissen

„Ich fahre schon sehr lange Rennen, aber dieses war unglaublich anstrengend. Ich versuchte, so vernünftig und hart zu bleiben, wie ich es nur konnte. Die Erfahrung hat mir geholfen, das Auto auf der Strecke zu halten und dabei sauber zu fahren. Es war schwierig, aber wir haben uns als Team durchgesetzt", bilanziert Hamilton nach seinem 103. Grand-Prix-Sieg, der ihm bisweilen wie ein Slalom um immer neue Hindernisse vorgekommen war.

Mehrfach hatte Verstappen Kurven abgekürzt und sich so Vorteile verschafft. Als er nach langem Hin und Her aufgefordert worden war, eine ungerechtfertigte erlangte Position wieder zurückzugeben, fuhr er seinen üblichen Zick-Zack-Kurs, machte sich in der Mitte breit und nahm den Gang raus – worauf der sichtlich verwirrte Hamilton ihm auf die Hinterräder knallte.

Teamchef Toto Wolff schäumte vor Wut

In der Mercedes-Box crashte Teamchef Toto Wolff vor Wut seinen Kopfhörer. Selbst wenn die Szene vielleicht auf einem Missverständnis beruhte, hinterließ die rücksichtslose Art und Fahrweise einen schalen Nachgeschmack. Ein Champion ist auch Vorbild und muss mehr zeigen, als nur die Gegner zu provozieren oder in die Falle locken zu wollen.

Hatte Hamilton zuvor eher vorsichtig angenommen, dass sein Gegner wohl verrückt geworden sei, muss das die Bestätigung gewesen sein. Zunehmend fällt es Teilnehmern und Beobachtern schwerer, für den gnadenlosen Aufsteiger die Unschuldsvermutung gelten zu lassen.

10-Sekunden-Strafe für Verstappen ohne Wirkung

Max Verstappen setzt darauf, dass alle gegen ihn zurückziehen, was Hamilton angesichts der Lage in der Weltmeisterschaft und seiner eigenen Situation auch in Dschiddah zum wiederholten Male tun musste. Es wäre im Sinne einer großartigen Saison und der allgemeinen Sitten in der Königsklasse Zeit, dass jemand diese freche Vorgehensweise unterbindet.

Wildes Rennen: Für sein harsches Bremsmanöver und die Kollision mit seinem Rivalen Lewis Hamilton kassierte Max Verstappen eine Zeitstrafe.
Wildes Rennen: Für sein harsches Bremsmanöver und die Kollision mit seinem Rivalen Lewis Hamilton kassierte Max Verstappen eine Zeitstrafe. © Firo

Dass FIA-Rennleiter Michael Masi zwischendrin mit dem Red-Bull-Kommandostand überhaupt diskutierte, wie viele Plätze Verstappen für einen ungerechtfertigt erlangten Vorteil zurückgestuft werde, hat die Autorität der Regelhüter weiter untergraben. Sie wollen sich offenbar partout nicht in den Titelentscheid einmischen. Die nachträglich verhängte Zehn-Sekunden-Strafe für die unnötige Kollision war mehr Alibi, sie blieb in der Gesamtwertung ohne Wirkung.

Verstappen zum "Fahrer des Tages" gewählt

Max Verstappen sah sich darob eher als Opfer, wenn nicht gar als Märtyrer. „Ich versuche nur, Rennen zu fahren. Aber in der Formel 1 von heute geht es mehr um Bestrafungen", klagte der Niederländer, „vieles ist passiert, mit dem ich nicht einverstanden bin." Dass ihn die Fans zum „Fahrer des Tages" gewählt hatten, nahm er noch als Bestätigung für seine Fahrweise.

Teamchef Christian Horner attestierte seinem Schützling, sich wie ein Gladiator verhalten zu haben, womit die Stimmung vor dem großen Showdown auf der Wüsteninsel Yas weiter angeheizt wird. Mercedes schickte seinen Anhängern in den sozialen Medien ein lila Herz, analog zu Hamiltons Lieblingsfarbe, und stellte dazu den Satz: „Gewonnen. Auf die richtige Art und Weise."