Herzogenaurach. Kein anderer Nationalspieler wurde so heftig kritisiert wie Leroy Sané. Vor dem England-Spiel kämpft er um seinen Platz - und um mehr.

Es ist fast eine tänzerische Bewegung. Mit dem rechten Außenrist stupst Leroy Sané den Ball nach rechts, dann zieht er ihn blitzschnell mit der Sohle nach links, während sich der Oberkörper mehrfach hin- und herbewegt hat. Der Gegner hat keine Chance, Sané zieht locker vorbei – was in diesem Fall daran liegen dürfte, dass der Gegner nur eine einfache Slalomstange auf dem Trainingsplatz der deutschen Nationalmannschaft in Herzogenaurach ist.

Den Platz in der Startelf hat Leroy Sané wohl verloren

Wenn sich die Gegenspieler bewegen können, tut sich Sané derzeit deutlich schwerer. Als er im dritten Vorrundenspiel der Europameisterschaft gegen Ungarn endlich in der Startelf stand, enttäuschte er die Erwartungen. Und nun spricht vieles dafür, dass der Platz in der Startelf erst einmal wieder weg ist, wenn es in die alte Heimat geht, wenn am Dienstag (18 Uhr/ARD) im Achtelfinale der Klassiker gegen England ansteht.

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Wenn man so will, steht dieser Sané sinnbildlich für die Nationalmannschaft im Jahr 2021: Das Potenzial ist gewaltig, die Erwartungen auch. Die Leistungen aber wurden dem zuletzt nur selten gerecht – wie bei jenem 2:2 gegen Ungarn, das nicht nur für die Zuschauer und ihre Nerven, sondern auch für Sané eine Qual war. Einer wie er braucht Räume für sein Spiel, er muss Tempo aufnehmen können, um am Gegner vorbeizukommen. Aber Räume gab es nicht.

Sturmpartner Gnabry nimmt Sané in Schutz

So blieb von diesem Abend weniger in Erinnerung, dass der 25-Jährige viel versuchte, dass er rannte und ackerte. Es blieb haften, dass ihm wenig gelang, nur eine Torschussvorlage, aber kein eigener Torschuss, kaum erfolgreiche Dribblings und Pässe. Und es blieben Bilder, die mehr sagen als alle Statistiken: ein Eckball, der hoch über den Strafraum und ins gegenüberliegende Seitenaus flog. Das Laufduell, dass er vor dem Gegentor zum 1:2 gegen den Torschützen Andras Schäfer verlor. Und der Konter in der Nachspielzeit, als er den Pass auf den mitgelaufenen Kevin Volland völlig verzog.

Den Unmut des Publikums hatte er sich da längst zugezogen. Einige Zuschauer murrten, wenn er am Ball war, sie raunten, teils pfiffen sie auch. „Ich kann nicht verstehen, wenn gepfiffen wird“, wunderte sich Sanés Sturmpartner Serge Gnabry. Klar, für Sané sei es nicht so rund gelaufen. „Aber da gibt es auch noch ein paar andere.“ Und diese anderen waren nicht besser, sie waren teils schlechter – ausgepfiffen aber wurden sie nicht.

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Sané ist eine Reizfigur für das deutsche Publikum

So verfestigt sich der Eindruck, dass Sané es nicht leicht hat mit dem deutschen Publikum. Weil es von einem Spieler mit seinem Potenzial deutlich mehr erwartet. Und weil es ihn längst in eine Schublade einsortiert hat: die des schnöseligen, arroganten Jungprofis. „Ich kann das sogar ein bisschen verstehen“, sagte Sané vor einigen Monaten dem Spiegel dazu. „Wenn ich in der Öffentlichkeit bin, bleibe ich eher distanziert.“

Und es half dem Image nicht, dass er mal in sehr auffälliger und sehr teurer Jacke zur Nationalmannschaft anreiste oder sich ein Bild von sich selbst beim Torjubel großflächig auf den Rücken tätowieren ließ. Die Aufregung um seine Kleidung hat er nie ganz verstanden, das Tattoo würde er heute nicht mehr stechen lassen: „Ich war jemand, der vor allem in jungen Jahren erstmal gegen die Wand laufen musste, auch wenn es wehtat, um daraus zu lernen“, sagte er.

Die jungen Jahre, das waren die in Gelsenkirchen und auch noch in Manchester. Beim FC Schalke 04 eroberte das in Essen geborene Eigengewächs die Bundesliga im Sturm. Mit gerade einmal 20 wechselte er für über 50 Millionen Euro zu Manchester City. In der Premier League wurde er 2018 zum besten jungen Spieler gewählt, in England schien alles bereitet für die Weltkarriere – zu der auch die Zusammenarbeit mit DB Ventures Limited beitragen sollte, der Berateragentur des früheren Fußball-Popstars David Beckham.

Anders als Özil hat Sané bei Löw keinen Rückhalt

Doch der Weg zum Weltstar erwies sich als steinig, der erste heftige Rückschlag kam im Sommer 2018: Völlig überraschend strich Löw den Edeltechniker nach der Vorbereitung aus dem vorläufigen Aufgebot für die Weltmeisterschaft 2018. Dem Bundestrainer hatte missfallen, dass der Jungstar ein Jahr zuvor wegen einer Nasen-OP die Teilnahme am Confed-Cup abgesagt hatte. Außerdem wurde gestreut, dass Sané im Trainingslager nicht immer mit höchster Professionalität am Werke war.

Das Bild verfestigte sich. Nicht selten begegnet die Öffentlichkeit gerade den größten Künstlern mit dem größten Misstrauen – vor allem dann, wenn es nicht läuft. Mesut Özil hat das auch erlebt, dass dann nicht mehr über sein Stellungsspiel und seine Pässe diskutiert wurde, sondern über seine Körpersprache und seine Mentalität. Aber Özil hatte immerhin lange den vollen Rückhalt des Bundestrainers, den hat Sané nicht. Zumindest ist davon nach außen wenig zu erkennen. Löw spricht ja nicht einmal den Namen richtig aus, seit Jahren sagt er Sahne – betont also die erste Silbe statt die zweite.

„Ich habe schon das Gefühl, dass auf mich anders geschaut wird als auf andere“, sagte Sané über die öffentliche Wahrnehmung. Er arbeitet gegen das Image an. Mit einem Kommunikationsberater, der in den zurückliegenden Tagen viele Telefonate führen musste. Mit einem öffentlichen Auftreten, das voll auf den Sport fokussiert ist. Protzbilder mit teurem Schmuck oder dicken Uhren sucht man auf seinem Instagram-Profil vergeblich. So etwas besitze er auch gar nicht, beteuert Sané. Er sei kein Bling-bling-Profi, der stundenlang vorm Spiegel stehe, er brauche morgens nur fünf Minuten: Aufstehen, Zähne putzen und dann in kurzer Hose zum Training.

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Nachwirkungen des Kreuzbandrisses bremsen Sané

Er weiß aber, dass alles Reden nichts nützen wird, um das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Er muss durch Leistung überzeugen – und er weiß, dass da Luft nach oben ist, dass er die 45 Millionen Euro Ablöse, die der FC Bayern vor einem Jahr zahlte, noch nicht gerechtfertigt hat. „Wenn man meine Leistungen in der letzten Saison mit denen davor vergleicht, dann habe ich keine gute Saison gespielt“, sagt er.

Die Nachwirkungen seines Kreuzbandrisses bremsten ihn länger, als er gedacht hätte, erst langsam kamen Fitness und Rhythmus zurück. „Jetzt bin ich in der bestmöglichen Situation für mich und meinen Körper, jetzt fühle mich wohl“, sagt er. Das muss er jetzt nur noch auf dem Platz unter Beweis stellen.