Landerneau. Ein unglücklicher Sturz von Tony Martin überschattete die erste Etappe der 108. Tour de France. Eine Zuschauerin war die Schuldige.

Tony Martin rollte blutend und noch immer fassungslos über die Ziellinie. Der lebensgefährliche Gruß eines Fans an seine Großeltern hatte kurz zuvor das Peloton der 108. Tour der France in ein schieres Trümmerfeld verwandelt. Weil auch ein zweiter Massensturz prominente Opfer wie Altstar Chris Froome forderte, geriet der triumphale Sturm des französischen Publikumslieblings Julian Alaphilippe ins Gelbe Trikot zur Nebensache.

Auch interessant

„Das war sehr unnötig. Wir hatten alles unter Kontrolle - wir müssen einfach davon ausgehen, dass die Zuschauer Platz machen“, sagte Martin, der den sagenhaften Leichtsinn einer Tour-Besucherin bei der ersten Etappen in den Hügeln der Bretagne beinahe so teuer bezahlt hätte wie Jasha Sütterlin - der Freiburger DSM-Profi musste verletzt aufgeben. „Gefühlt passiert so etwas bei jeder Tour. Du musst einfach davon ausgehen, dass die Zuschauer zur Seite gehen. Wenn man da jedes Mal einen großen Bogen drum fahren würde, dann würden wir nur noch Bögen fahren“, sagte Martin frustriert.

Eine junge Frau trug ein Schild "Allez Omi/Opi"

Rund 45 Kilometer vor dem Ziel war eine junge Frau mit dem Rücken zum heranrasenden Feld aus den Zuschauermassen, welche die gelockerten Corona-Regeln zur Tour gelockt hatten, auf die Straße getreten. In den Händen trug sie ein Schild mit der Aufschrift „Allez Omi/Opi“ und hielt dieses lachend in die Motorrad-Kamera. Martin an der Spitze des Peloton knallte aus voller Fahrt in das Plakat, was einen Massensturz von einem guten Drittel aller Fahrer auslöste.

Die Frau blieb offenbar unverletzt, andere erwischte es schlimmer. Zahlreiche Fahrer erlitten Blessuren, der Freiburger DSM-Profi Sütterlin musste gar aufgeben. Martin fuhr kopfschüttelnd mit blutenden Wunden dem Feld hinterher, der 36 Jahre alte Edelhelfer von Mitfavorit Roglic hatte dabei sogar noch Glück: Als er mit dem Kopf auf den Asphalt knallte und ihn danach andere Fahrer erwischten, rettete Martin sein Helm.

Während Sütterlin bei seiner zweiten Tour-Teilnahme nicht einmal die erste Etappe beendete, fuhr Martin völlig frustriert und mit Wunden an beiden Armen dem Feld hinterher. „Es sind wohl weitgehend Prellungen. Ich glaube, ich kann weiterfahren“, sagte der gebürtige Cottbuser der im Jumbo-Visma-Team als Edelhelfer des Mitfavoriten Primoz Roglic (Slowenien) unabkömmlich ist.

Auch interessant

Alles nach Plan lief hingegen für Alaphilippe, dessen angekündigter Angriff auf Gelb ein satter Erfolg wurde. „Auch ich war heute in einen Sturz verwickelt, habe aber zum Glück die Nerven behalten“, sagte der 29-Jährige, der kurz vor der Tour Vater geworden war: „So ist es unglaublich.“

Viermaliger Tour-Sieger Froome kam ins Ziel

Der Weltmeister vom Team Deceuninck-Quick Step setzte sich nach 197,8 km zwischen Brest und Landerneau mit acht Sekunden Vorsprung auf den Australier Michael Matthews (BikeExchange) und den Vorjahreszweiten Roglic durch. Alaphilippe, der im langgezogenen Anstieg zum Ziel angegriffen hatte, eroberte damit wie im Vorjahr in Nizza am Auftaktwochenende das Maillot jaune.

Ein weiterer übler Massencrash keine zehn Kilometer vor dem Ziel sprengte das Peloton dann endgültig. Bei rasender Fahrt war im Vorderfeld ein Fahrer zu Fall gekommen und hatte erneut eine Kettenreaktion ausgelöst. Zahlreiche Profis flogen spektakulär ab, der viermalige Tour-Sieger Froome, der nach einem fürchterlichen Unfall 2019 sein Comeback bei der Großen Schleife feierte, wurde unter großen Schmerzen behandelt, kam aber ins Ziel.

Einen Erfolg gab es immerhin für das deutsche Bora-hansgrohe-Team: Der niederländische Youngster Ide Schelling räumte als Ausreißer genug Zähler für das gepunktete Trikot ab. (sid)