Cassis. Der frühere Uefa-Präsident Michel Platini ist der Erfinder der EM in mehreren Ländern. Der Franzose erklärt im Gespräch die Idee dahinter.

Die Europameisterschaft in zwölf Ländern war seine Idee. Michel Platini hatte sie, als er noch Präsident der Europäischen Fußball-Union war. In diesem Interview, das er mit unserer französischen Partner-Zeitung Ouest-France führte, spricht der 65-Jährige über die Entstehung dieses EM-Projekts, über den ersten deutschen Gegner Frankreich und seine eigene Lage.

Platini lebt im südfranzösischen Cassis bei Marseille, wo er das Ende seiner Rechtsstreitigkeiten erwartet – es gibt noch zwei Verfahren in der Schweiz und in Frankreich. Wegen Korruptionsvorwürfen war er 2015 von der Fifa erst für acht, dann für sechs und schließlich für vier Jahre für alle Aktivitäten im Fußball gesperrt worden. Daraufhin verkündete er seinen Rücktritt als Uefa-Präsident. Platini beteuert noch immer seine Unschuld.

Wie sind Sie auf diese Idee einer europaweiten Europameisterschaft gekommen, über die so heftig gestritten wurde?
Michel Platini: 2020 markierte den sechzigsten Jahrestag der EM. Um dies zu feiern, wollte ich, dass ganz Europa davon profitiert. Ich wollte Ländern wie Aserbaidschan, Rumänien und Ungarn die Möglichkeit geben, den Wettbewerb wenigstens einmal in ihrer Geschichte auszurichten. Für sie ist es eine einmalige Chance und eine Quelle des Stolzes.

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Dieses Format wird wegen der Distanz zwischen den Spielen und der damit verbundenen Streuung der Fans kritisiert.
Michel Platini: Ich kenne dieses Argument, aber als Uefa-Präsident musste ich den Fußball auf dem ganzen Kontinent entwickeln. Es gibt Länder, die nie etwas gewinnen, die ständig verlieren. Diese Euro ist für sie. Einige haben neue Stadien gebaut. Es ist eine großartige Möglichkeit, ihren Fußball zu entwickeln. Du musst an alle denken.

Hat der Ausbruch des Coronavirus ein solches Format nicht schwieriger gemacht?
Michel Platini: Ich bin nicht mehr bei der Uefa. Ich kümmere mich nicht mehr um das operative Geschäft. Diese Frage müssen Sie der aktuellen Führung stellen.

Wie haben Sie den Fußball während der Pandemie erlebt?
Michel Platini: Während des ersten Lockdowns war ich nicht dafür, die Spiele wieder aufzunehmen. Ich hatte das Gefühl, dass wir die Spieler zum Schlachthof schicken. Im Namen des Geldes. Dann änderte sich meine Position. Im Fernsehen haben wir nur noch Dinge gesehen, die Angst machen. Deshalb gaben Fußballspiele, auch hinter verschlossenen Türen, dem Herzen Trost. Auf der ganzen Welt.

Hat Frankreich die beste Ausgangsposition, um das Turnier zu gewinnen?
Michel Platini: Absolut. Unsere Mannschaft ist der große Favorit. Weil sie amtierender Weltmeister ist und mir das Team immer noch so stark erscheint. Auch die Belgier sind mit ihrer Offensivkraft und dem Trio Kevin De Bruyne, Eden Hazard und Romelu Lukaku nicht schlecht.

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Ist Frankreich mit der Rückkehr von Benzema nicht noch stärker geworden?
Michel Platini: Didier Deschamps setzt auf ein Trio sehr leistungsstarker Angreifer. Kylian Mbappé, Karim Benzema und Antoine Griezmann haben sehr unterschiedliche Profile, aber ihre Verbindung muss funktionieren. Alle großen Spieler können zusammen spielen. Benzema hat es selbstverständlich verdient, im französischen Team zu sein. Du kannst kein Mittelstürmer von Real Madrid und so konstant sein, ohne ein sehr guter Spieler zu sein.

Sie sagten kürzlich, dass Sie von Mbappé beeindruckt seien. Hätten Sie gerne mit ihm gespielt?
Michel Platini: Aber ja! Ich glaube, ich hätte ihn gerne in die Tiefe geschickt (lächelt). Mbappé ist in allem, was er tut, sehr gut. Seine Geschwindigkeit, sein rechter Fuß, auch sein linker, sein Torinstinkt. Er ist jung und schon komplett.

Der Fußball heute, der ganz anders als zu Ihrer Zeit ist, reizt er Sie noch?
Michel Platini: Das Niveau war noch nie so hoch, die Qualität der Spieler war noch nie so groß. Es gibt viel mehr gute Spieler als zu meiner Zeit, weil sie viel früher ausgebildet wurden. Zu meiner Zeit sind wir nicht mit zwölf Jahren in Klubs gegangen, sondern mit achtzehn. Die Spieler sind besser vorbereitet, sie sind viel sportlicher.

Macht das die Spiele attraktiver für die Zuschauer?
Michel Platini: Es ist anders. Heute haben wir ein Spiel, das eher nach Trainern als nach Spielern aussieht. Große Trainer prägen ihre Mannschaft mit klar definierten Stilen, Systemen und Richtlinien. Nur wenige große Spieler wie Cristiano Ronaldo, Lionel Messi oder Neymar erlauben sich Freiheiten. Zu meiner Zeit wurde Fußball von den Spielern organisiert.

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Video-Schiedsrichter haben die Landschaft tiefgreifend verändert und für viel Gesprächsstoff gesorgt. Sind Sie immer noch gegen den Videobeweis?
Michel Platini: Er behebt einige Probleme, schafft aber andere. Insgesamt schmerzt es mich. Es entlastet die Schiedsrichter von Verantwortung und nimmt meist Emotionen, wie die spontane Freude des Torschützen und des Publikums. Manchmal ist es erschütternd, aber leider glaube ich nicht, dass wir zurück zur alten Regelung kommen werden.

Vermissen Sie den Fußball heute?
Michel Platini: Das Spiel, ja, immer. Aber in meinem Alter ist es kompliziert (Platini lächelt). Ich spiele mit meinen Enkeln. Hinter den Kulissen des Fußballs vermisse ich hingegen überhaupt nichts.

Wenn Sie Ihre juristischen Probleme hinter sich haben, planen Sie, wieder eine Tätigkeit im Fußball aufzunehmen?
Michel Platini: Im Moment gibt es nur Verdachtsmomente, es spricht nichts gegen mich. Ich habe mir nichts vorzuwerfen und kämpfe gegen Ungerechtigkeit. Ich weiß nicht, wann das alles beendet sein wird. Aber wenn ich irgendetwas Interessantes finde, dann kehre ich vielleicht in den Fußball zurück.

Sie verteidigen oft die Spieler. Würde es Ihnen gefallen, Chef der FIFPro zu werden, der Gewerkschaft des Weltfußballs?
Michel Platini: Warum nicht? Man wird sehen. Der Fußball muss den Spielern gehören und nicht Schweizer Juristen.

Eine Rückkehr in einen Klub als Manager würde Sie nicht reizen?
Michel Platini: Nein. Ich hatte schon einige Vorschläge in diese Richtung. Aber auch Angebote von Medien, während der EM oder der Champions League etwas zu machen. Das habe ich schon vor langer Zeit gemacht. Das motiviert mich nicht mehr.