Herzogenaurach. Toni Kroos wird von Bundestrainer Löw und Mitspielern im DFB-Team geschätzt. Die Beziehung zu deutschen Fans ist aber kompliziert.

Toni Kroos lächelt kurz. Aber nur ganz kurz, denn gefallen hat ihm die Frage nicht. „Du galtest ja 2018 immer als Taktgeber der Nationalmannschaft, der das Tempo bestimmt“, sagt ein Journalist. „Jetzt ist das Orchester ein anderes. Bist du weiterhin Dirigent und wie schwingst du den Taktstock?“

Die Frage hat einen entscheidenden Fehler: Sie beginnt mit der Vergangenheitsform. Das ist auch Kroos sofort aufgefallen, entsprechend spitz fällt die Antwort aus: „Du hast ja schon gesagt: galtest. Damit hast du auch gesagt, dass das nicht mehr der Fall ist und damit hast du die Frage schon beantwortet.“ Seine Beobachtung habe sich auf 2018 bezogen, entgegnet der Journalist, wie sei es denn jetzt mit dem neuen Orchester? Antwort: „Ich habe mein Spiel gegenüber damals nicht verändert.“

Nächster Versuch: „Was ist mit der Art, wie du das Spiel lenkst und dirigierst?“

„Meine Spielweise hat sich nicht verändert.“

„Also wird genauso gespielt wie 2018?“

Nun endlich eine längere Antwort über taktische Veränderungen und die Notwendigkeit, sich an jeden Gegner anzupassen – die doch in dem letzten Satz mündet: „Ich habe mein Spiel nicht verändert – und werde das auch nicht tun.“

Diskussionen vor dem EM-Auftakt gegen Frankreich

Der Dirigent ist verstimmt, das zeigen die bemerkenswert schmallippigen Antworten. Und sie zeigen: Der Fragesteller hat einen wunden Punkt getroffen. Denn Kroos ist zwar im EM-Quartier der deutschen Mannschaft in Herzogenaurach abgeschirmt von der Außenwelt, die öffentlichen Diskussionen bekommt er aber schon mit. Und es irritiert ihn zunehmend, dass immer öfter und immer lauter die Frage gestellt wird, ob er überhaupt noch hineingehört in diese Mannschaft.

Toni Kroos im Gespräch mit Bundestrainer Joachim Löw beim DFB-Training in Herzogenaurach.
Toni Kroos im Gespräch mit Bundestrainer Joachim Löw beim DFB-Training in Herzogenaurach. © dpa

Es ist kompliziert – das ist seit Jahren der Beziehungsstatus zwischen Toni Kroos und dem deutschen Publikum. 102 Länderspiele hat der 31-Jährige absolviert, damit ist er gemeinsam mit Thomas Müller der erfahrenste Spieler im aktuellen Kader. Mit vier Champions-League-Siegen und einem Weltmeistertitel ist er auch der erfolgreichste.

Zum Liebling der Massen aber ist nur Müller geworden. Kroos wird respektiert für sein Spiel, geliebt wird er nicht. Ein Teil des Publikums beschimpft ihn seit Jahren als Querpass-Toni, als Spaziergänger auf dem Platz. Ein größerer, differenzierterer Teil fragt sich zumindest, ob es trotz all seiner Qualitäten im Passspiel eine gute Idee ist, Kroos im Auftaktspiel am Dienstag (21 Uhr/ZDF) im Zentrum der französischen Offensiv-Maschinerie entgegenzustellen. Denn für seinen Defensiv-Zweikampf ist der Mittelfeldspieler nicht bekannt, wie sich auch beim letzten großen Turnier zeigte: Im Auftaktspiel lief er den schnellen Kontern der Mexikaner meist hinterher.

Toni Kroos ist Toni-Kroos-Fan

Es gibt aber nach wie vor auch große Kroos-Fans im deutschen Lager. Einer von ihnen heißt Toni Kroos, aus jedem Satz des Profis von Real Madrid quillt das Selbstvertrauen nur so heraus. Möglicherweise gehört auch die Bundeskanzlerin dazu. Angela Merkel hatte am Donnerstag ein Videotelefonat mit den Nationalspielern geführt, und zumindest Kroos berichtete danach, dass es sehr angenehm gewesen sei und dass er die Kanzlerin sehr bewundere.

Wichtigstes – und maßgebliches – Mitglied im Toni-Kroos-Fanklub aber ist Joachim Löw. Der Bundestrainer schätzt das unaufgeregte Spiel des gebürtigen Greifswalders, die Ballsicherheit und die Präzision der Pässe. Bei Löw ist Kroos der Chef im Mittelfeld, der Denker und Lenker im Spielaufbau.

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Und auch die Mitspieler wissen, was sie an ihm haben. Robin Koch etwa war tief beeindruckt, als er Kroos erstmals im Nationalmannschaftstraining erlebte. „Für mich ist er der Spieler, der am schwierigsten vom Ball zu trennen ist, weil er immer die Ruhe behält“, sagt der Innenverteidiger. „Du kannst ihn anspielen, wenn drei Leute drumrumstehen und er bringt den Ball trotzdem mit dem nächsten Kontakt noch zum Mitspieler.“

Das schätzen Mitspieler, wenn sie auch unter höchstem Druck einen haben, bei dem sie den Ball abliefern können. Der Außenwelt kann Toni Kroos nun beweisen, dass er nach wie vor zum Taktgeber taugt.