Bremen. Werder Bremen hievt in höchster Abstiegsnot das Urgestein Thomas Schaaf auf den Trainerstuhl. An Florian Kohfeldt allein lag es nicht.

Ihn nannten die meisten noch bei seinem Spitznamen „Schabba“, als sich am 10. Mai 1999 das Leben des Thomas Schaaf vom einen auf den anderen Tag änderte. Eine Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt hatte die Zuschauer zwei Tage zuvor in Heerscharen aus dem Weserstadion getrieben, als die Vereinsführung des SV Werder für Felix Magath bis dato unbekannten Amateurtrainer Schaaf beförderte, der bei seinem ersten Training mit den Profis die Kiebitze mit einem freundlichen „Moin“ begrüßte. Am Ende hatten die Hanseaten nicht nur den Klassenerhalt gepackt, sondern auch den Pokal eingesackt.

Werder Bremen steht das Wasser bis zum Hals

So schön wird es 22 Jahre später nicht enden, aber derselbe Mann, kürzlich 60 geworden, soll es in höchster Abstiegsnot wieder richten. Vom Technischen Direktor steigt Schaaf auf zum Cheftrainer Profifußball, der anstelle des am Sonntag freigestellten Florian Kohfeldt zumindest für das Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, notfalls auch für die Relegationsspiele, übernimmt. Die an der Weser verehrte Legende Schaaf wirft den letzten Rettungsanker für einen Verein, dem in jeder Hinsicht das Wasser bis zum Hals steht.

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Auf der Trainerbank sitzt noch einmal der größtmögliche Nostalgiefaktor, der am Sonntag ins Quarantäne-Trainingslager nach Barsinghausen reiste und seinen ewigen Assistenten Wolfgang Rolff mitbringt. „Thomas kann mit seiner Erfahrung und seiner Art und Weise für Begeisterung sorgen und den Spielern Selbstvertrauen vermitteln“, sagte Geschäftsführer Frank Baumann, der unter Schaaf seine beste Zeit als Spieler erlebte.

Das rückwärtsgewandte Engagement eines Fußballlehrers, der bei einer Rettungsmission bei Hannover 96 vor fünf Jahren grandios scheiterte und zuvor bei Eintracht Frankfurt nicht glücklich wurde, ist auf diese kurze Phase befristet.

Hat seinen Job bei Werder Bremen verloren: Florian Kohfeldt.
Hat seinen Job bei Werder Bremen verloren: Florian Kohfeldt. © dpa

Der 38-jährige Kohfeldt, eigentlich als Langzeit-Lösung auserkoren und deshalb auch bis 2023 vertraglich gebunden, hatte mit dem 0:2 beim FC Augsburg ein Bewerbungsschreiben für den zweiten Abstieg seit 1980 abgeliefert. „Der Trend der letzten zwei Jahre hat uns zu der Überzeugung kommen lassen, dass der Mannschaft der Glaube an diese Konstellation verloren gegangen ist“, räumte Baumann ein. Der frühere Werder-Kapitän, 45, ist mit einer unglücklichen Kaderplanung allerdings selbst ein Teil der Verzwergung. In der Vorsaison hatte Baumann bis zum Ende Kohfeldt vorbehaltlos gestützt.

Damals hangelte sich Werder am letzten Spieltag mit einem wundersamen 6:1-Kantersieg gegen den 1. FC Köln – und dank der Schützenhilfe von Union Berlin – in die Relegation. Doch Kohfeldts Ideen gingen zuletzt kaum mehr auf. Drei außer Form befindliche Mittelstürmer (Davie Selke, Niclas Füllkrug, Josh Sargent) überboten sich vorne als Symbolfiguren der Hilflosigkeit. Fehlendes Tempo und mangelnde Torgefahr kennzeichnen die Auftritte seit Wochen. Schaaf muss diesem Ensemble wieder offensive Impulse geben.

Typisch: Bremer bleiben in der Krise unter sich

Dass Werder keinen dynamischen Nothelfer – wie Frank Kramer – oder auch keine routinierte Lösung – wie Friedhelm Funkel – von außen ins leckgeschlagene Boot holt, ist typisch. Die Grün-Weißen bleiben lieber unter sich. Schaaf kennt am Osterdeich alles und jeden. Zuletzt ging in den Rückschauen zum runden Geburtstag ungeachtet aller Verdienste wie das sagenhafte Double 2004 oder legendären Champions-League-Abende ein bisschen unter, dass die Ära nach 14 Jahren im Mai 2013 unter dem Krisenmanager Thomas Eichin eigentlich unschön endete. Jahrelanger Abstiegskampf hatte alle Seiten zermürbt.

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Werder leistete sich in den Folgejahren einige Irrtümer auf der Trainerposition, bis Kohfeldt im November 2017 übernahm. Zuerst hat der rhetorisch geschickte Überzeugungstäter aus eigenen Reihen viel Gutes bewirkt, besaß beim zweiten Existenzkampf in Folge jedoch auch kein glückliches Händchen mehr. Seine Analysen waren stets ein bisschen durch die bremische Brille gefärbt: weil er Fan und Fußballlehrer war. Der DFB-Trainer des Jahres 2018 wird sich mit ein bisschen Abstand bestimmt noch woanders beweisen können.

Bremen braucht einen Neuanfang auf allen Ebenen

Vorerst geht es für seinen Herzensverein um alles, die sportliche Lage nach nur einem Pünktchen aus neun Spielen ist fast genauso alarmierend wie die wirtschaftliche Situation. 75 Millionen Euro Verbindlichkeiten türmen sich wegen der Pandemie auf, die Lizenz gibt es nur unter Auflagen, Notverkäufe sind im Sommer unvermeidlich.

Nur: Die Marktwerte sind dramatisch in den Keller gerauscht, und daran ist nur Corona schuld. Bei einem Abstieg kreist der Pleitegeier. Dringend benötigt der SV Werder, der sich zwischen 2004 und 2010 fast auf Augenhöhe mit dem FC Bayern bewegte, einen Neuanfang auf allen Ebenen.