Kairo. Die deutschen Handballer starten in die WM. Im Verein hat Alfred Gislason alles gewonnen. Jetzt warten neue Herausforderungen.

Alfred Gislason kennt das Spielchen mittlerweile. Er setzt sich vor den Monitor, nimmt die Brille kurz ab und schiebt sie sich wieder auf, sobald er den Knopf für das Mikrofon gefunden hat. So geht das nun schon seit ein paar Monaten, seit die Pressekonferenzen mit dem Handball-Bundestrainer nur noch per Videokonferenz stattfinden. Die Reporter sitzen im Homeoffice, Gislason ist weit entfernt. Sehr weit in diesen Tagen, seit Dienstag befinden sich der 61-Jährige und sein Team in Ägypten, wo am Freitag für Deutschland das erste Spiel der WM gegen Uruguay ansteht (18 Uhr/ARD).

Der Hintergrund bei den Gesprächsrunden ist immer gleich, Gislason sitzt vor einer Wand aus Sponsorenlogos. Einige Zimmer des Fünf-Sterne-Hotels in Gizeh nahe der Hauptstadt Kairo gewähren den Blick auf die weltberühmten Pyramiden. Doch Gislason wirkt nicht entspannt wie Touristen, die von hier ins Land der Pharaonen starteten. Der Bundestrainer ist angespannt. Die WM wird in Pandemiezeiten gespielt. Und es ist Gislasons Turnier-Premiere als Bundestrainer.

Titelsammler mit dem THW Kiel

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„Ich bin seit 30 Jahren Trainer, trotzdem bin ich vor Spielen immer angespannt“, sagt Gislason. Als Vereinstrainer hat der Isländer alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Er wurde siebenmal Deutscher Meister, gewann sechsmal den LigaPokal und dreimal die Champions League. Die meisten Titel holte er mit dem THW Kiel. Und so weiß er trotz vieler Erfolg, dass nicht immer alles glattlaufen kann in diesem Geschäft. Wie gerade in Ägypten. Der mitgereiste Mannschaftskoch hat keinen Arbeitsplatz im Hotel, und von den Angestellten vor Ort vergisst der eine oder andere auch ab und zu, seine Maske aufzusetzen. „Das sind Umstände, die wir uns anders vorgestellt hatten“, sagt Gislason, um aber gleich lakonisch einzuwenden: „Das ist so, es scheint nicht möglich, daran etwas zu ändern.“

Es ist ein Satz, der auch Gislasons Amtszeit als Bundestrainer gut zusammenfasst. Im vergangenen Februar war Christian Prokop nach dem fünften Platz bei der EM überraschend beurlaubt worden. Auch, weil Alfred Gislason plötzlich nach einem halben Jahr im Ruhestand wieder Lust auf Handball verspürte und bei anderen Nationen bereits als Trainer gehandelt wurde. Der Deutsche Handballbund fackelte mit Blick auf die nahenden Olympischen Spiele nicht lange: Prokop musste gehen, Gislason kam – und er wartete. Er wartete auf seine Premiere im März, er wartete auf die Olympiaqualifikation im April, er wartete auf die Tokio-Spiele im Sommer. Erst im November, nach 273 Tagen im Amt, stand er dann bei den Qualifikationsspielen für die EM 2022 erstmals im Polohemd mit aufgesticktem Bundesadler an der Seitenlinie. Und nun, bei der WM, ist wieder einiges nicht möglich, wieder kann Gislason daran nichts ändern. Er muss das Beste aus den Gegebenheiten machen.

Viele Stammkräfte fehlen

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Bei der WM wird das deutsche Team nicht in Bestbesetzung antreten. Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek sagten ab und begründeten dies mit der Rücksicht auf die Familien in Zeiten des Lockdowns. Damit fehlt dem deutschen Team der eingespielte Abwehr-Mittelblock. Das Herz der Defensive, dessen Qualität das ruckelnde Angriffsspiel stets übertünchte. In Finn Lemke und Steffen Weinhold sagten weitere Routiniers ab, Kreisläufer Jannik Kohlbacher fehlt wegen einer Ellbogenverletzung. Johannes Golla, 23 Jahre jung, ist nun erste statt vierte Wahl am Kreis und bildet mit Sebastian Firnhaber – ebenfalls ein WM-Debütant – die Abwehrzentrale. Spielmacher wird Philipp Weber sein, 2018 unter Prokop enttäuschender Hoffnungsträger bei der EM, bei der Heim-WM im Folgejahr gar nicht mehr berücksichtigt und bei der EM 2020 schließlich doch noch stark aufspielend. Weber verspricht nun selbstbewusst: „Wir sind bereit!“

Das hört Gislason gerne, trotz der vielen Improvisationen und der Kürze der Zeit, in der er eine spielerische Einheit formen muss. Da kommen die ersten Gegner zur richtigen Zeit. „Das Spiel gegen Uruguay – wie auch das zweite gegen Kap Verde am Sonntag – müssen wir gewinnen und dazu nutzen, uns besser einzuspielen und taktische Varianten auszubauen.“ Zwei internationale Leichtgewichte warten also, bevor es am Dienstag gegen Ungarn um den Gruppensieg gehen könnte. „Wir müssen heute geduldig spielen, diszipliniert sein“, sagt er.

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Es mag Gislasons erste WM als Bundestrainer sein, doch schnell wird klar, dass einem der erfolgreichsten Handball-Trainer der Welt nicht bange vor den kommenden Tagen ist, aller Unwägbarkeiten zum Trotz. Er kennt das Spielchen.