Oberstdorf/Essen. . Karl Geiger durfte die Isolation verlassen und meldet sich fit für die Vierschanzentournee. Doch der große Favorit ist ein Norweger.

Die Spannung fühlte sich in diesem Jahr lange Zeit so an wie sonst nur beim finalen Springen in Bischofshofen, wenn der Führende des ersten Durchgangs die Schanze herunterfährt und gleich der Sieger der Vierschanzentournee feststehen wird. Erst am Sonntagabend hatte Karl Geiger Gewissheit - und damit die Startfreitabe Auch das Ergebnis seines letzten PCR-Tests war negativ. Bis dahin war seine seine Teilnahme am wichtigsten Skisprung-Event des Winters ungewiss gewesen.

Der Oberstdorfer hatte nach seiner Corona-Infektion immerhin rechtzeitig vor der Qualifikation am Montag (16.30 Uhr/ZDF) zum Auftaktspringen der 69. Vier-Hügel-Show die Isolation verlassen dürfen. Jetzt kann er in seiner Heimat (16.30 Uhr/ ZDF), in Garmisch-Partenkirchen (Neujahr, 14 Uhr/ARD), Innsbruck (3. Januar, 13.30 Uhr/ARD) sowie Bischofshofen (6. Januar, 16.45 Uhr/ ZDF) mit um den ersten deutschen Gesamtsieg seit Sven Hannawald 2002 springen. Wie es um die Chancen der DSV-Adler steht und wer ihre Konkurrenten sind, steht hier im Favoriten-Check.

Halvor Egner Granerud: Der fliegende Kindergärtner

Favorit aus Norwegen: Halvor Egner Granerud.
Favorit aus Norwegen: Halvor Egner Granerud. © dpa

Fünf Siege in Folge machen Halvor Egner Granerud per Sportnaturgesetz zum haushohen Favoriten. „Es ist zurzeit wirklich schrecklich schön, ich zu sein“, sagt er mit einem breiten Grinsen. Erst in seinem sechsten Weltcup-Winter gelang dem 24-Jährigen der große Durchbruch, die teaminterne Konkurrenz staunt gerade Schneeklötze. „Er hat die vollkommene Kontrolle über das, was er tut, und vertraut sich. Deshalb kann er Sprung für Sprung auf himmelhohem Niveau abliefern“, erklärt Robert Johansson (30).

Sollte diese Konstanz im Zusammenhang mit dem Corona-Jahr 2020 stehen, hat Granerud eine besondere Geschichte geschrieben: Um sich seinen Hauptberuf als Skispringer zu finanzieren, arbeitete er zur Pandemie-Hochphase im Frühjahr in einem Trondheimer Kindergarten. Die Engelsgeduld bei der Betreuung der Kinder zeichnet den Norweger nun auch auf der Schanze aus: In den fünf Jahren vor Corona nie besser als Vierter, ist er in diesem Winter nie schlechter als Vierter gewesen. Und hat damit bereits 58.000 Euro an Preisgeldern erflogen. „Das ist eine ganz neue Situation für mich“, sagt das Topfavorit, „die öffentliche Aufmerksamkeit wird riesig sein.“ Seit 2007 – damals war es Anders Jakobsen – warten die Norweger wieder auf einen Gesamtsieger. Von den Topnationen muss nur noch Deutschland länger ausharren.

Markus Eisenbichler: Der feingefühlige Flieger

Wieder in starker Form: Markus Eisenbichler.
Wieder in starker Form: Markus Eisenbichler. © firo

Eisei ist der Mann, dem der Bundestrainer besonders zutraut, den Goldenen Adler nach 19 Jahren endlich wieder zum Deutschen Ski-Verband zu holen. „Warum soll es diesmal nicht ein ausgezeichneter deutscher Springer sein, der über allen anderen steht?“, sagt Stefan Horngacher. „Wir haben zwei Leute, die das definitiv können.“ Einer davon ist der 29 Jahre alte Markus Eisenbichler, Dreifach-Weltmeister von Seefeld 2019. Der Siegsdorfer hatte die ersten beiden Saisonspringen gewonnen, ehe Granerud zum Höhenflug ansetzte.

Eisenbichler ist aber ein Typ, der vermutlich nicht einmal auf dem doppelt so langen Anlauf einer Skiflugschanze weiche Knie bekäme. Den technisch besten deutschen Flieger lässt deshalb auch die Serie des Norwegers kalt: „Irgendwann fängt auch er an zu überlegen und muss dann wieder arbeiten. Dann merkt man erst, ob man wirklich ein großer Sportler ist, wenn er eine kleine Tiefphase hat und da so schnell wie möglich rauskommt. Ich habe das schon oft genug durchgemacht, von daher habe ich da ein bisschen Vorsprung.“

Karl Geiger: Siegerflieger trotz Corona-Isolation

Weltmeister und Mitfavorit bei der der Tournee: Karl Geiger.
Weltmeister und Mitfavorit bei der der Tournee: Karl Geiger. © dpa

Die deutsche Mannschaft ist am Sonntag nach Oberstdorf gereist. Mit Karl Geiger. Dass er das fliegende Doppelzimmer diesmal alleine ohne seinen ständigen Zimmergenossen Markus Eisenbichler belegen muss, „ist anders und skurril, da fehlt a bisserl was.“ Seine Gelassenheit wird dem 27 Jahre alten Allgäuer aber extrem dabei helfen, turbulente Wochen mental zu verkraften: Weltmeister im Skifliegen in Planica, dann die Geburt der Tochter, zwei Tage später das positive Corona-Ergebnis. Auch in der Isolation hat Geiger Krafttraining absolviert, „man musste ein bisschen improvisieren bei der Vorbereitung, die Familie hat geholfen, zum Beispiel eine Hantelstange oder Rüttelbretter zu Hause vorbeizubringen.

Aber das hat wunderbar funktioniert.“ Dass er nach zwei Wochen ohne Testsprünge nun auf seiner Heimschanze wieder zurückkehren darf, erachtet er aber nicht als Vorteil: „Die Schattenbergschanze hat auch ihre Schwierigkeiten. Es muss überall klappen – egal, wo.“ Über zwei Probesprünge und die Quali am Montag will sich Geiger nun wieder das Fluggefühl zurückholen. Was das mit seinen Aussichten auf den Gesamtsieg macht? „In Planica hatte ich mich auch nicht unbedingt für den Titel auf dem Zettel. Ich weiß, dass ich mit guten Sprüngen vorne mitmischen kann. Ich gehe voll auf Angriff.“ Bundestrainer Horngacher dämpft die Erwartungen, sagt aber trotzdem: „Dem Karle ist alles zuzutrauen.“

Wer kommt sonst noch infrage?

Vorjahressieger Dawid Kubacki springt seiner Form derzeit hinterher.
Vorjahressieger Dawid Kubacki springt seiner Form derzeit hinterher. © afp

Im Team der Polen ist Piotr Zyla (33) als Vierter im Gesamtweltcup der konstanteste Springer, Titelverteidiger Dawid Kubacki (30) ist derzeit alles andere als stabil. Das Augenmerk liegt daher mal wieder auf Kamil Stoch. Der 33-Jährige war bei den letzten Springen vor der Tournee in Engelberg Zweiter und Siebter. „Er ist auf dem aufsteigenden Ast“, sagt Stefan Horngacher voller Ehrfurcht, „so wie ich ihn kenne, wird Kamil bei der Tournee eine große Rolle spielen.“

Nur leise Hoffnungen dürfen sich die Österreicher machen: Stefan Kraft einzuschätzen, fällt schwer, denn eine Corona-Infektion zu Saisonbeginn hinderte den 27 Jahre alten Pongauer maßgeblich, im Gegensatz zu Daniel Huber (27/als bester Österreicher derzeit Neunter) im Weltcup Punkte zu sammeln. Aber: Bei der Skiflug-WM stand Kraft schon wieder einen 239-Meter-Satz im Training, musste sich dann aber wegen Rückenschmerzen vom Wettbewerb zurückziehen. Darüber hinaus sind der Slowene Anze Lanisek (24) und der Japaner Yukiya Sato (25) Kandidaten für die Top 5.