Paris. Grippegeschwächter Alexander Zverev ist im Achtelfinale der French Open am italienischen Shootingstar Jannik Sinner gescheitert.

Alexander Zverev rannte weit hinter der Grundlinie immer wieder hin und her. Er kämpfte verzweifelt und grimmig, oft auch aussichtslos um jeden Ball. Er gab nicht auf, obwohl er an diesem 4. Oktober, seinem letzten Tennistag unterm Eiffelturm, nie eine wirkliche Siegchance gegen einen überlegenen, souveränen, eiskalten Rivalen besaß. Gestoppt wurde der Weltranglisten-Siebte bei den French Open im windigen Paris überraschend von einem noch deutlich Jüngeren, vom 19-jährigen Südtiroler Jannik Sinner, der im Achtelfinal- Showdown ausgeschlafen wie ein Veteran des Wanderzirkus auftrumpfte: 3:6, 3:6, 6:4 und 3:6 – so lautete die bittere Gesamtabrechnung aus Zverevs Sicht, nach drei Stunden und einer Minute zäher Rutschpartien im roten Sand. Damit war auch das Grand Slam-Jahr des deutschen Weltklassespielers beendet, ein sehr gutes Jahr in der Corona-Rumpfsaison. Halbfinale bei den Australian Open, Finale bei den US Open, Achtelfinale nun in Paris, das konnte sich sehen lassen. Aber mehr, ganz besonders in New York, wäre möglich gewesen.

Becker: "Sascha hängt heute in den Seilen"

Von größeren Chancen konnte bei Zverevs persönlichem Finale im Stadion Roland Garros allerdings nicht die Rede sein. Von der ersten Minute des Duells mit Sinner war der 23-jährige Hamburger in der Defensive, buchstäblich und spieltaktisch. Sinner war der Taktgeber, der Regisseur, der Lenker der Partie. Und Zverev, den seine Fans am Fernsehschirm manchmal kaum noch sehen konnten in der tiefen Verteidigungsposition beinahe auf Höhe der Linienrichter, war der Getriebene, der Gehetzte, der Reagierende.

Jannik Sinner jubelt nach seinem Sieg - er gilt als aufstrebender Starspieler.
Jannik Sinner jubelt nach seinem Sieg - er gilt als aufstrebender Starspieler. © AFP | ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

„Tennis ist wie ein Boxkampf. Und da hängt Sascha heute in den Seilen“, konstatierte Eurosport-Mann Boris Becker zu Recht. Zverev konnte seinen Frust über den Lauf der Dinge auch erstmals seit vielen Wochen nicht mehr verhüllen. Zuletzt in allen Tennis-Lebenslagen ein eher stoischer, ausbalancierter Hauptdarsteller, knallte der Favorit schon im ersten Satz wütend das Racket auf den Court, schleuderte den Schläger kurz danach noch einmal aufgebracht umher.

Zverev bekommt früh Nasenspray

War Zverev noch im Vollbesitz seiner Kräfte? Wohl nicht ganz. Im ersten Satz bereits ließ der Deutsche das medizinische Team auf den Platz kommen, er bekam dann ein Nasenspray, weil er offenbar nicht richtig atmen konnte. „Er hat sich schon vor drei Tagen erkältet“, erklärte Zverevs Bruder Mischa in einer TV-Zuschaltung aus Monte Carlo, „aber er wollte nicht, dass das an die Öffentlichkeit gerät. Und dass es als Entschuldigung aufgefasst werden könnte, wenn es nicht so läuft.“

Fakt jedenfalls war: Zverev lief der Musik fast immer hinterher in den 181 Minuten Spielzeit auf Court Suzanne Lenglen. Und wer geglaubt hatte, dass der erstmals in ein Grand Slam-Achtelfinale vorgerückte Sinner irgendwann die Zitterhand bekommen und einen Einbruch erleben könnte, sah sich in dem zupackenden Teenager schwer getäuscht. Selbst einen aus seiner Sicht unnötigen Satzverlust zum 1:2-Anschluss von Zverev steckte der ehemals hochtalentierte Skirennfahrer in der windumtosten Arena mühelos weg. Schnell war er im vierten und dann auch letzten Akt wieder am Drücker, hielt den stark fightenden Zverev auf Abstand. „Das war eins meiner besten Spiele überhaupt“, gab Sinner gleich auf dem Schauplatz des Geschehens zu Protokoll. Das Selbstbewußtsein, das er gegen Zverev tankte, wird er allerdings am Dienstag auch gut gebrauchen können – dann nämlich darf sich der elegante Techniker der Herkules-Aufgabe gegen Matador Rafael Nadal stellen, den Pariser Seriensieger.

Zverev hofft noch auf eine Titel-Chance

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Zverev, der Verlierer, hatte sich alles in allem mehr als ordentlich verkauft in Paris, der letzten Station des Grand Slam-Trosses in diesem Ausnahmejahr der Pandemie. Vor allem deshalb, weil er die dunklen Schatten seiner traumatischen Finalniederlage von New York in der Roland Garros-Startphase verscheuchen und sozusagen die Reset-Taste drücken konnte.

Alles ging von vorne los, wenn auch nicht unter idealen Bedingungen für den 22-jährigen, der sich schnelle Bodenverhältnisse gewünscht hätte. Und stattdessen kühles, feuchtes Herbstwetter bekam. Manchmal musste er sich bei einstelligen Temperaturen spät am Abend abrackern, es war nicht gerade ein großes Vergnügen. Der deutschen Nummer eins blieb nun ein letztes großes Ziel, mutmaßlich jedenfalls – denn ob das WM-Finale der besten Acht tatsächlich im November in London stattfinden kann und wird, ist noch nicht ausgemacht. Dort will Zverev, geht alles gut, noch einmal um einen großen Titel mitspielen.