London. Stirling Moss war ein Sir, eine Legende in der Formel 1, aber bestenfalls Zweiter: Nun ist der Brite mit 90 Jahren verstorben.

Der Vater ist Zahnarzt und Rennfahrer, und er hätte es gern, dass der Sohn auch Dentist wird. Aber dem gefällt die andere Seite seines Dads weit besser. Stirling Crauford Moss setzt sich – zum Glück für den Motorsport – lieber ins Cockpit. Die alte Geschichte von Beruf und Berufung. Den Führerschein macht er schon mit 15, dank einer Ausnahmegenehmigung. Bald beginnt er, Rennen zu fahren, weil ihm beim Reiten ein paar Pferdestärken fehlen. Es werden 529 werden, 212 davon gewinnt er. Viermal in Folge wird er Vize-Weltmeister in der Formel 1, dreimal Dritter. Der beste Rennfahrer der Welt, der nie Weltmeister war, ist am Ostersonntag im Alter von 90 Jahren für immer eingeschlafen.

Einer der ganz Großen

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Längst war er von der Queen zum Sir geadelt worden, von der leidenschaftlichen britischen Renngemeinde zum „Mister Motor Racing“ ernannt. Der älteste lebende Grand-Prix-Sieger starb nach Angaben seiner Frau Susie in seinem Londoner Haus „so, wie er gelebt hat, und sah wunderbar aus. Er ist am Ende einfach eingeschlafen. Er hat die Augen geschlossen, und das war’s.“

Der Gentleman unter den Piloten

Nach einem Treppensturz und einer Lungenerkrankung hatte er sich seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Aber vergessen worden ist er nie, auch nicht vom Mercedes-Team. „Wir werden in vermissen“, sagt Rennstallchef Toto Wolff, „er war einer der ganz Großen.“ Daimler-Boss Ola Källenius hebt die Charakterstärke des Briten, der sich für den Wechsel zu einem deutschen Rennstall in den Fünfzigern noch anfeinden lassen musste: „Er blieb als erfolgreicher Sportler auch stets ein Gentlemen.“ Piero Ferrari erinnert sich an einen großen Rivalen, die Scuderia hat an Ostern eine lange Huldigung verbreitet: „Er war eine legendäre Figur, ein formidabler und zu fürchtender Gegner. Mein Vater hat immer gesagt, dass Moss ihn an Tazio Nuvolari erinnert hat, denn er konnte auf jedem Typ Auto schnell sein.“ Mit Nuvolari verglichen zu werden, das ist in Italien der Ritterschlag.

Viermal Vize-Weltmeister hinter Fangio

Die beiden britischen Fahrer Stirling Moss (winkend) und Peter Whitehead (r. sitzend), freuen sich im Jaguar nach ihrem Sieg. Sie hatten 1953 das 12-Stunden-Sportwagenrennen in Reims gewonnen.
Die beiden britischen Fahrer Stirling Moss (winkend) und Peter Whitehead (r. sitzend), freuen sich im Jaguar nach ihrem Sieg. Sie hatten 1953 das 12-Stunden-Sportwagenrennen in Reims gewonnen. © dpa

Der Zweite als erster Verlierer, das ist das erbarmungslose Gesetz des Sports. Aber es kommt eben darauf an, gegen wen man unterliegt. In seinem Fall ist es Juan Manuel Fangio, den neben Michael Schumacher und Lewis Hamilton erfolgreichsten Grand-Prix-Piloten. Von 1955 bis 1958 wird Moss viermal Vize, seinen ersten Formel-1-Sieg holt er 1955 in Aintree beim legendären Vierfachsieg der Silberpfeile. Für fünf verschiedene Marken gewann er 16 Große Preise – damit hat er mehr als 17 der bisherigen 33 Weltmeister gewonnen. Eine kleine statistische Genugtuung für Ritter Bleifuß.

Einmal fehlt nur ein zermürbender Punkt

Nicht die Niederlagen gegen Fangio haben ihn zermürbt. Vielmehr war es das eine Pünktchen, das ihm 1958 gegen seinen Landsmann Mike Hawthorn fehlte, der mittels Ferrari-Stallregie zum Weltmeister gemacht wurde. Früh in der Saison hatte er sich erfolgreich gegen einen ungerechtfertigten Punkteabzug für den Konkurrenten gewehrt, auch das kostete ihn später den Triumph.

Ein Crash änderte vieles

Anfang der Sechziger hätte er noch einmal eine gute Chance gehabt, aber nach einem mysteriösen Crash am Ostermontag 1962 in einen Erdwall in Goodwood lag er im Koma. Er erlitt Knochenbrüche und ein Hirntrauma, blieb zunächst halbseitig gelähmt. Als er sich mehr als ein Jahr später zurück auf die Strecke wagen konnte, merkte er, dass ihn die Magie hinter dem Lenkrad verlassen hatte. An seiner statt wurde Jim Clark zum neuen Helden auf der Insel. Für die Lehrbücher bleibt aber sein Satz übers Rennfahren: „Eine Kurve mit Vollgas zu durchfahren, ist schwierig. Aber dieselbe Kurve mit Vollgas zu nehmen, wenn auf der einen Seite eine Mauer und auf der anderen ein Abgrund ist, das ist eine echte Leistung.“

Auch bei den legendären 24 Stunden von Le Mans blieb Sir Stirling Moss der Sieg zweimal knapp verwehrt. In Moss, den man bis zu seinem Abschied aus der Öffentlichkeit vor zwei Jahren nur gut gelaunt erleben konnte, schlummerte ein besonderer Hybrid: Niederlagen wandelte er nicht in Frust, sondern in Lebensfreude um. Tatsächlich triumphierte er dann bei den leidenschaftlichsten Rennen, der Mille Miglia und der Targa Florio.

Hamilton trauert den Gesprächen nach

Als Kommentator, Firmenrepräsentant und Pilot bei Oldtimer-Rennen mischte er bis weit über die 80 hinaus in den Fahrerlagern mit. Vor sieben Jahren in Silverstone tauschte er mit Lewis Hamilton das Lenkrad zwischen dem alten und dem neuen Silberpfeil. Einen Trick verriet Moss damals dem aktuellen Abo-Champion: „Am Start habe ich immer bewusst entspannt in die Gegend geguckt, damit sich die Konkurrenten fragten, in was für einem Wunderauto ich wohl sitze. So haben sie sich schon am Start schlechter gefühlt…“ Hamilton trauert diesen Unterhaltungen mit Sir Stirling Moss nach: „Unsere Freundschaft war ungewöhnlich. Rennfahrer mit komplett unterschiedlicher Herkunft, aus völlig anderen Zeiten. Aber es hat Klick gemacht zwischen uns. Die Liebe zum Rennfahren hat uns zu Kameraden werden lassen.“