Melbourne. Alexander Zverev steht erstmal in seiner Karriere in einem Grand-Slam-Halbfinale. Keiner hatte ihm dies vor Beginn der Australian Open zugetraut.

Es ist heiß geworden in Melbourne. Am Donnerstag stieg das Thermometer auf bis zu 39 Grad Celsius. Freitag, wenn Alexander Zverev um 9:30 Uhr deutscher Zeit sein Halbfinal-Match bei den Australian Open gegen den Österreicher Dominik Thiem austragen wird, soll es sogar noch wärmer werden. Für Tennis-Profis sind das brutale Bedingungen, weil sie auf dem Platz fast immer der totalen Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Je kürzer die Matches, desto besser.

Diesbezüglich geht Deutschlands bester Tennisspieler sogar mit einem kleinen Vorteil in die Partie mit dem Weltranglisten-Fünften, der sich in seinem Viertelfinale gegen Rafael Nadal eine epische Schlacht über vier Stunden inklusive dreier Tiebreaks lieferte. Der Hamburger brauchte lediglich knapp über zwei Stunden für seinen Sieg gegen Stan Wawrinka. Beim 1:6, 6:3, 6:4 und 6:2 gab Zverev den ersten Satz überhaupt im gesamten Turnier ab. Der 26-jährige Thiem, der bisher vier Sätze verlor, hat also auch in Summe mehr Match-Zeit in den Knochen. Und doch sind die Rollen für das Duell der beiden Kumpels in der Rod-Laver-Arena klar verteilt.

Zverev ist noch immer Außenseiter

Die Melbourner Tageszeitung „The Age“ fragte vor dem Beginn des Turniers sechs Tennisexperten, welcher der Topspieler die zweite Woche nicht erreichen werde. Vier von sechs antworteten: Zverev. Und selbst jetzt, nach Erreichen der Runde der letzten Vier, trauen hier viele dem 22-Jährigen den ganz großen Wurf, das Erreichen des Finales und möglicherweise sogar den Gewinn der Australian Open, nicht zu. Und wenn schon! Zverev schmeckt die Rolle des Außenseiters immer besser. „Ich bin hier ohne Erwartungen angereist und wollte mich einfach nur von Runde zu Runde steigern. Das ist mir bis jetzt ganz gut gelungen“, sagte der Deutsche nach seinem Sieg über Wawrinka. Nicht nach links und rechts schauen, weiter hart trainieren, dennoch entspannt bleiben und auch mal Zeit mit der Freundin und seinem besten Freund, die ihn beide nach Melbourne begleitet haben, verbringen. Das ist nach eigenen Angaben sein Erfolgsrezept - und er fährt damit bisher exzellent.

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Für Zverev ist es das erste Halbfinale bei einem Grand-Slam-Turnier überhaupt. Das Match gegen Thiem hat aber auch aus einem anderen Grund fast schon historische Bedeutung: „The skinny dude“, der dünne Typ, wie er auf der Tennis-Tour genannt wird, ist der erste Deutsche seit Tommy Haas, der es in ein Halbfinale bei einem der vier großen Turniere geschafft hat. Haas erreichte 2009 die letzten Vier in Wimbledon.

Lob von Boris Becker

„Zverev macht gerade große Schritte als Tennisspieler, als Mann. Er hat in Melbourne viele Fans gewonnen“, sagte Boris Becker, der als TV-Experte für den TV-Sender Eurosport die Spiele der Australian Open kommentiert, am Tag nach dessen Viertelfinal-Erfolg. Becker hat Recht. Zverev hat Down Under nicht nur an seinem Aufschlag, sondern auch an seinem Image gearbeitet, indem er zum Beispiel nach seinem Startrundensieg gegen den Italiener Marco Cecchinato sagte, er werde pro Match, das er hier gewinne, 10.000 Dollar an die Opfer der verheerenden Buschfeuer spenden. Und dann sagte er noch: „Sollte ich gewinnen, dann spende ich mein ganzes Preisgeld von vier Millionen Dollar.“ Das war nicht nur einfach so daher geplappert und es steckte auch kein Kalkül dahinter.

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Zverev hält auch weiter an seinem frühen Versprechen fest. Aus gutem Grund: „Meine Eltern sind in der ehemaligen Sowjetunion groß geworden. Alles Geld, das mein Vater als professioneller Tennisspieler gewann, musste er abgeben. Trotzdem hat er mich gelehrt: Mit Geld sollte man etwas Gutes tun. Man sollte es nicht auf Bankkonten horten“, so der 1,97 Meter lange Schlaks am Mittwoch nach dem Wawrinka-Match. Es sind Sätze wie diese, die aufhorchen lassen - und um die Welt gehen.

Zverev will die nächste Stufe erklimmen

Das Match gegen Dominik Thiem - von den bisherigen acht Duellen konnte der Österreicher sechs gewinnen - ist nun die einmalige Chance für Zverev, auch sportlich die nächste Stufe seiner Karriere zu erklimmen und in den erlesenen Kreis der ganz Großen seines Sports einzudringen. In einem möglichen Finale hieße Zverevs Gegner Novak Djokovic. Zeit, endgültig Geschichte zu schreiben, bliebe nach dem Halbfinale also immer noch.