Wien. Die Nationalmannschafts-Rückkehrer Weber und Reichmann haben bei der Handball-EM vor dem Spiel um Platz fünf neues Profil gefunden.

Wie Gewinner sahen sie alle nicht aus am Ende der Hauptrunde in der Wiener Stadthalle. Dazu waren sie zu müde und abgekämpft, dafür war der 26:22-Sieg gegen Tschechien am Mittwochabend zu zäh und zu unspektakulär geraten. Am Donnerstag reisten die deutschen Handballer weiter nach Schweden, wo in Stockholm der Sieger dieser EM ausgespielt wird. Das Team von Bundestrainer Christian Prokop wird beim Finale aber nur zusehen, am Samstag spielen sie gegen Portugal um Platz fünf (16 Uhr/One).

Tobias Reichmann brilliert vom Siebenmeterpunkt

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„Meine Beine sind noch frisch“, stellte Tobias Reichmann vor dem Abflug fest. Er lachte dabei, es steckte ein bisschen Spaß in der Aussage, aber auch ein Schuss Verärgerung. Vier Tore hatte er gegen Tschechien erzielt, es war die erste Partie, in der er wieder länger spielen durfte, nachdem ihn Timo Kastening auf der Rechtsaußenposition als Stammspieler verdrängt hatte. Immer wieder kam Reichmann während der EM zwar aufs Feld, aber meist nur kurz. Es waren nur wenige Sekunden, aber wichtige Momente. Es waren jene Mann-gegen-Mann-Duelle am Siebenmeterpunkt, wenn es nur den Schützen und den gegnerischen Torwart gibt. Aus diesen trat Reichmann meist als Sieger hervor, bis zum Tschechien-Spiel hatte er 17 von 18 Versuchen verwandelt, am Mittwochabend leistete der 31-Jährige sich dann zwei Fehlwürfe, was aber zur generell sehr durchschnittlichen Leistung aller Akteure in dieser Partie passte. Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handballbunds (DHB), ernannte den sprunggewaltigen Spieler des Bundesligisten MT Melsungen trotz dessen unbefriedigender Situation zu einem der Gewinner des Turniers. „Er hat zuletzt nicht viel gespielt, aber eiskalt die Siebenmeter verwandelt. Er hat seine Rolle angenommen, das zeugt von Charakter“, meinte Hanning.

Provokation von Reichmann vor der Heim-WM

Es ist insofern bemerkenswert, weil Reichmann vor einem Jahr auf eine Zurückstellung wohl noch ganz anders reagiert hätte. Als er kurz vor dem Start der Heim-WM als einer der letzten aus dem Kader gestrichen wurde, hielt er sich nicht etwa als Reservespieler bereit, sondern rauschte mit der Familie wütend in den Urlaub nach Florida ab. Mit einem Foto vom Flughafen und dem Satz „Tschausen ihr Banausen“ verabschiedete er sich in den sozialen Netzwerken von Bundestrainer und DHB. Das sei aber längst „kein Thema mehr“, sagt Reichmann heute. „Wir haben uns ausgesprochen und alles ist wieder gut.“

Phlipp Weber wächst in der Rolle des Spielmachers

Gut ist es derzeit auch um Philipp Weber bestellt. Er hatte gegen Tschechien fünf Tore geworfen, war der beste Schütze der Partie. Seine Spielanteile waren im Laufe des Turniers stetig gewachsen, zunehmend entlastete er Paul Drux als Spielmacher. „Er spielt eine sehr erwachsene EM“, attestierte Bob Hanning. Es sind Worte des Respekts nach einer wechselhaften Beziehung. Vor zwei Jahren hatte Hanning den talentierten Rückraumspieler zum kommenden großen Lenker der Nationalmannschaft ausgerufen. Es war eine Bürde, an der der damals 25-Jährige während der EM in Kroatien zerbrach. Er erfüllte die ihn gesetzten Erwartungen nicht, wurde ein Jahr später bei der Heim-WM nicht berücksichtigt und schaffte es auch diesmal nur wegen zahlreicher verletzungsbedingter Absagen ins Team.

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Nun aber scheint es, als sei der Spieler des SC DHfK Leipzig bereit für die Rolle, die ihm einst zugedacht war. Weber ist flink, er ist torgefährlich und durchsetzungsstark. Mit 20 Toren ist er im oberen Drittel der deutschen Torschützenliste zu finden, die Timo Kastening mit 26 Treffern anführt. „Diese EM ist jetzt mein zweites Turnier, aus dem ersten habe ich viel gelernt und die Fehler aufgearbeitet“, sagt Weber selbst. „Vor zwei Jahren war er einfach noch nicht so weit“, sieht auch Hanning ein.

Es sind die aufstrebenden Leistungen der eigentlich als kurze Tauschoptionen eingeplanten Spieler wie Weber, die positiver auf das noch kommende Spiel gegen Portugal blicken lassen, denn einige der Stammspieler wirkten zuletzt müde, überspielt und angeschlagen. Weber aber verspürt noch immer Lust: „Für uns war es wichtig, mit einem Sieg nach Stockholm zu fliegen, dort wollen wir nochmal richtig einen raushauen.“ Für die meisten mag die EM mental schon beendet sein – für Weber geht sie nun erst richtig los.