Erfurt. Ein Sportmediziner aus Erfurt und sein Vater sollen Drahtzieher eines weltweit agierenden Dopingnetzwerkes sein. Jetzt wurden beide festgenommen.

Es ist kurz vor eins an diesem sonnigen Vorfrühlingsmittwoch. Der blaue Himmel wölbt sich über Erfurt, die Tiergartensiedlung im Norden der Stadt liegt still in der milden Mittagsluft. So still wie die Arztpraxis. Sprechzeiten mittwochs von acht bis zwölf Uhr, verkündet das Schild im Vorgarten. Nichts deutet darauf hin, dass die weiße Villa seit dem Vormittag im Zentrum einer groß angelegten internationalen Doping-Razzia steht.

Die verglaste Eingangstür ist offen, trotz der angezeigten Schließzeit. Klingeln an der Praxis im Parterre. Eine Sprechstundenhilfe öffnet umgehend. Auf die Bitte, den Mediziner sprechen zu wollen, schließt sich die Tür wieder. Einen Augenblick, da müsse sie erst nachfragen. Kurz darauf erscheint dessen Mutter und erklärt, dass es nichts zu sagen gebe. Wieder geht die Tür zu. Kurz darauf surren die Rollläden an den Fenstern nach unten.

Arzt an den Händenfixiert abgeführt

Nur Anwohnern dürfte derweil auffallen, dass es draußen auf der Straße etwas enger zugeht als sonst. Durch das dichte Geflecht der schmalen Siedlungsstraßen zwängt sich seit ein paar Monaten ohnehin Umleitungsverkehr. An diesem Mittag aber parken halb auf dem Gehweg, halb auf der Straße ein paar Autos mehr. Autos mit Münchner und Nürnberger Kennzeichen. In einem schwarzen Passat liegt vor dem Beifahrersitz eine rote Kelle des Zolls. Plötzlich schaltet sich per Bluetooth die Freisprechanlage ein, offenbar ein per Handy geführtes Telefonat aus der Praxis gegenüber. Nur Wortfetzen sind aus dem verschlossenen Wagen zu hören, unter anderem ist von der „Garage“ die Rede.

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Später sind schemenhaft Personen hinter der geriffelten Glasscheibe der Eingangstür der Praxis zu sehen. Doch erst nach einer Stunde, gegen zwei, kommt sichtlich Bewegung in die Szenerie. Hin und wieder verlassen nun Beamte in Zivil das Haus und gehen zu einem der Autos, holen eine Tasche – oder packen eine in den Kofferraum. Dann öffnet sich die Tür erneut. Begleitet von zwei Fahndern wird der Arzt – verspiegelte Sonnenbrille, Jeans, dunkle Adidas-Jacke – zu dem schwarzen Passat geführt. Offensichtlich ist er an den Händen fixiert. Ein paar weiße DIN-A4-Blätter, die er hält, sollen das wohl verbergen. Er sei der Hauptverdächtige, sagt Johannes Streidl, Pressesprecher des Zollfahndungsamtes München, draußen auf dem Gehweg. Es ist 14.38 Uhr, als der Wagen davonbraust – geradewegs entgegen der ausgewiesenen Einbahnstraße.

Acht weitere Durchsuchungen in Erfurt

Im Zusammenhang mit den „Ermittlungen wegen des Verdachts des verbotenen Eigenblutdopings“ sind in Erfurt neben der Praxis im Norden der Stadt gestern noch acht andere „Objekte durchsucht“ worden, bestätigt die Staatsanwaltschaft München I. Und neben dem Festgenommenen kommen mindestens zwei weitere Personen, dem Vernehmen nach „Komplizen“, in Gewahrsam. Wie der Leiter Abteilung „Organisierte Kriminalität“ beim Bundeskriminalamt (BKA), Dieter Csefan, am Rande der Nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Innsbruck erklärt, sei einer der Komplizen der Vater des Hauptverdächtigen. Zusammen mit einer Frau ist er in Seefeld in Österreich festgenommen worden.

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Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zeigte sich erschüttert. „Ich bin schockiert und fassungslos“, sagte er der „Thüringer Allgemeinen“ (Donnerstagausgabe). „Das ist eine ziemliche Katastrophe.“ Ramelow verlangte die rasche und umfangreiche Aufklärung aller Vorwürfe. „Doping schadet dem Ansehen des Sports und dem Ansehen des Sportstandorts Thüringen.“ Gerade mit Blick auf die regelmäßig in Thüringen stattfindenden Wintersport-Weltcups und die für 2023 geplante Biathlon-WM müssten alle Beteiligten die Ermittlungen „sehr ernst“ nehmen.

Ramelow animiert Sportler zu Anzeigen

Ramelow forderte mutmaßliche Betroffene auf, sich selbst bei der Polizei zu melden. „Ich appelliere an die Sportler, die von etwas wissen, dass sie reden oder gar Anzeige erstatten.“ Nach Angaben der Staatsanwaltschaft München hatten Aussagen des Skilangläufers Johannes Dürr die Ermittlungen ausgelöst.

Die Durchsuchungen in Erfurt, bei denen laut Csefan ein „illegales Dopinglabor mit Dopingpräparaten, Blutbeuteln, Bluttransfusionen und einer Zentrifuge“ sichergestellt worden ist, gehen kurz vor drei zu Ende. Zwei Beamtinnen tragen einen letzten Pappkarton nach draußen, verstauen ihn auf dem Rücksitz eines Vans und verlassen das Grundstück.

Schon länger unter Beobachtung

Die Praxis nahe der Radrennbahn im Erfurter Andreasried stand offensichtlich schon länger unter Beobachtung der Behörden. Der ehemalige Mannschaftsarzt des Radsportteams Gerolsteiner war bereits vor knapp zehn Jahren mit Blutdoping in Verbindung gebracht worden. Der einstige österreichische Radprofi Bernhard Kohl hatte ihn 2009 in der ARD-Sendung „Beckmann“ des Dopings bezichtigt. Der Erfurter betreute bei der Tour de France im Jahr zuvor das Team Gerolsteiner.

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Mit Kohl, der die Rundfahrt auf Platz drei beendete, und Stefan Schumacher wurden zwei Fahrer der Mannschaft des Dopings überführt. Der nun Festgenommene hatte damals eine Beteiligung an unerlaubten Praktiken bestritten. „Ich habe keine Dopingmittel besorgt, weitergeleitet oder selbst verabreicht“, sagte er im Mai 2009 im Gespräch mit der „Thüringer Allgemeinen“. Und: „Gegen mich wurden bisher keine Vorwürfe erhoben.“ Eine Feststellung, die sich inzwischen dramatisch verändert hat.