Innsbruck. Markus Eisenbichler fällt im Kampf um den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee beim Springen in Innsbruck deutlich zurück.

Und, wie fühlt sich das nun an? Wenn man so kurz vor der Perfektion in seiner Sportart steht? Ryoyu Kobayashi sitzt im Pressesaal der Innsbrucker Olympiaworld, der japanische Skispringer hat wieder Haltung angenommen, nachdem diese ihm rund 80 Minuten zuvor bei der Landung seines zweiten Sprungs noch zu entgleiten drohte. Doch den Japaner kann derzeit einfach nichts aus der Fassung bringen. Auch nicht die Frage, ob er denn nun vor dem letzten Akt seiner großartigen Geschichte nervös sei. „Nein“, sagt Kobayashi, „ich mag Bischofshofen sehr. Ich will dort eine große Show zeigen.“ Dabei liefert er doch schon längst große Auftritte ab.

Kobayashi scheint konkurrenzlos

Auch wenn er im Innsbrucker Schanzenauslauf den Goldenen Adler zunächst noch keines Blickes würdigte: Aus dem Zweikampf bei der 67. Vierschanzentournee ist ein finales Duell mit der Natur geworden, denn den 22 Jahre alten Überflieger können nur noch Wind und Wetter am größtmöglichen Erfolg bei der Sprungreise durch Deutschland und Österreich hindern: Als der Kobayashi-Flieger am Freitag vom Berg Isel abhob und zur Landung ansetzte, befand sich Markus Eisenbichler sinngemäß noch zum Einchecken am Schalter. 43,2 Punkte nahm er beim dritten Tournee-Stop seinem einzigen realistischen Konkurrenten aus Siegsdorf ab, der diesmal nur 13. wurde; 45,5 Zähler beträgt der Rückstand insgesamt.

Der Gesamtsieg scheint für Kobayashi möglich

Kobayashi kann am Sonntag (17 Uhr/ZDF) in Bischofshofen sein Flugspektakel krönen und wie Sven Hannawald 2002 sowie der Pole Kamil Stoch 2018 den Grand Slam schaffen. Nein, alle vier Tagessiege in einem Winter wird er einstreichen, denn der derzeit beste Skispringer der Welt sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, was mich noch aufhalten soll.“ Olympiaworld – das klingt schon nach höchsten sportlichen Weihen. In Innsbruck, zwischen der Berg-Isel-Schanze und dem Tivoli, Heimat der Fußballer des FC Wacker, bietet die Multifunktionshalle dem Sport und der Kultur eine würdige Heimat. Stoch erklärte im vergangenen Jahr noch in der schnöden Sporthalle der Pädagogischen Hochschule seinen Höhenflug. Die letzten Sprünge werde er „mit Sicherheit genießen“, denn „Gewinne und Rekorde bedeuten mir nichts“, sagte er. Dass auch Kobayashi Sporthistorisches bevorsteht, lässt den jungen Mann mit dem Mittelscheitel und der leisten Stimme ebenfalls kalt: „Ich denke jetzt nur an meine beiden Sprünge.“ Von der Lokalität scheint der Zustand der Nerven also nicht beeinträchtigt zu sein.

Keine Chance für Eisenbichler

Wer will Kobayashi, der erst seit zweieinhalb Wintern im Weltcup springt und als ganz bestimmt 18. Gesamtsieger bei der Tournee bereits drei Tagessiege sicher hat, dieses Selbstvertrauen übel nehmen? Selbst Eisenbichler nicht, der mit 129 und 123,5 Metern nur bedingt zufrieden war. „Ich habe versucht, zu attackieren – aber es war zu krass. Ryoyu ist der verdiente Sieger, er springt fantastisch“, sagt der 27-Jährige, dem in der Gesamtwertung mit 770,4 Punkten nun der Norweger Andreas Stjernen (766,2) im Nacken sitzt. Auch Werner Schusters Worte strotzen vor Bewunderung, als der Bundestrainer vom ersten Satz des Japaners auf 136,5 Meter mit akkurater Landung spricht: „Ich stehe schon lange oben auf dem Trainerturm: Wie Kobayashi da noch einen Telemark macht, war das Beeindruckendste, was ich gesehen habe.“ Es zeichnet sich also ab, dass Hannawalds exklusiver Klub der Grand-Slam-Sieger am Sonntag schon wieder anwächst. Vier Siege des Sachsen 2002, vier Siege des Polen Stoch 2018 – nun fehlen Kobayashi nur noch zwei Sprünge, um am Sonntag im Salzburger Land dieses bis zum vergangenen Jahr für einmalig gehaltene Kunststück als Zweiter nachzumachen. „Ich wünsche ihm nichts Böses“, sagt Schuster, „aber vielleicht fängt ja auch er mal an, zu denken – der Anlauf in Bischofshofen ist lang.“ Die Siegesserie des Japaners (siebter Erfolg im zehnten Wettkampf diese Saison) aber ist, wenn auch mit unterschiedlichen Maßen berechnet, noch länger.

Leyhe wird in Innsbruck Vierter

Für die deutschen Adler bestätigte sich indes: In Innsbruck steht ihr Schicksalsberg. Letztes Jahr begrub der gestürzte Richard Freitag (diesmal Achter) dort die Hoffnung auf die Tourneewertung, nun steht bei allem menschlichen Ermessen fest, ein 18. Jahr auf den ersten deutschen Gesamtsieg warten zu müssen. „Für uns geht es nun darum, dass Markus zumindest die Top 3 absichert. Das wäre schon toll“, sagt Schuster. Und der Willinger Stephan Leyhe, dem als stolzer Vierter am Berg Isel die beste Platzierung der Tournee gelang, glaubt auch noch an seinen Teamkollegen Eisenbichler: „Bischofshofen ist seine Lieblingsschanze, da zeigt er uns noch was Schönes.“ Ryoyu Kobayashi ist allerdings etwas noch Schöneres zuzutrauen.