Leipzig. Eine neue Spielergeneration formiert sich, das Gerüst der Nationalelf zu bilden. Die Jahrgänge 1995 und 96 machen Hoffnung.

Dass man die Nations League nur bedingt ernst nehmen kann, beweist folgender Umstand: Nach Lage der Dinge könnte es sein, dass die deutsche Nationalelf ab Herbst 2020, wenn der nächste Zyklus des Wettbewerbs startet, in der Zweitklassigkeit spielen wird. Der mit 3:0 besiegte Gegner von Donnerstag hingegen, Russland, wird dann erstklassig sein. Das russische Team steht in Liga B Gruppe 2 mit der Türkei und Schweden schon vor dem letzten Spiel als Aufsteiger so gut wie fest. Für die europäische Erstklassigkeit ist das schlecht, wenn man den Auftritt von Leipzig heranzieht. Hätten sich alle Kontrahenten so ergeben wie die Russen, es stünde ganz wunderbar um den deutschen Fußball.

Joachim Löw ist mittlerweile fast egal, ob er in zwei Jahren auf Dänemark, Österreich oder Tschechien in der Nations-League-B treffen wird, oder auf Frankreich, Portugal, Spanien im Überbau. Dass die im Dezember ausgelosten Gruppengegner für die ab März 2019 startende EM-Qualifikation vom Abschneiden in der diesjährigen Nations League abhängen, ist dem Bundestrainer irgendwie auch wurscht. „Ja, kann sein“, sagte Löw nach dem 3:0 gegen Russland darauf angesprochen, dass sein Team Stand jetzt nicht zu den gesetzten Gruppenköpfen in der EM-Qualifikation gehören wird und ihm daher Kontrahenten wie Spanien drohen. „Wir müssen die Qualifikation eh nehmen, wie sie ist. Und wir werden das schaffen“, sagte der 58-Jährige.

DFB: Löw ist wieder im Es-wird-schon-Modus

Löw, der noch vor einem Monat nach der 0:3 gegen die Niederlande ernsthaft um seine Weiterbeschäftigung bangen musste, ist beim Thema Zuversicht zurückgekehrt in den Es-wird-schon-Modus. Er weiß, dass sie beim DFB nun auch an ihm festhalten werden, wenn er absteigt. Und das wiederum liegt daran, dass Löw beim Thema Personal aus dem Es-wird-schon-Modus der verschenkten WM ausgetreten ist. Er hat jetzt eine Idee von der Zukunft und klammert sich nicht mehr an die Vergangenheit wie ein Ertrinkender an ein spärliches Stück Holz, das ihn nicht dauerhaft trägt. Jene Zukunft – die von Löw und dem deutschen Fußball – hat ihren Ursprung in den Jahren 1995/96 und sie könnte angenehmer werden als die Gegenwart.

Gegen Russland setzte Löw neun Spieler ein, die 1995 und 96 geboren wurden. Angeführt von Joshua Kimmich über Niklas Süle sowie Thilo Kehrer, den eingewechselten Leon Goretzka, Julian Brandt und Jonathan Tah bis zum neuen Dreiersturm Leroy Sané, Timo Werner und Serge Gnabry baute Löw ein Team mit 22- und 23-Jährigen zusammen, das 45 Minuten lang erfreute. Das erinnerte an die Gelegenheitself, die den Confed Cup 2017 gewann. Aber Löw sieht in der Jugend endlich keine Gelegenheit mehr, sondern eine Notwendigkeit: „Es ist vorstellbar, dass diese Generation auf Dauer das Gerüst der Nationalmannschaft bildet“, sagte er und machte sie so offiziell zum Anwärter auf die Nachfolge der Klasse von 2009. Die Generation um Mesut Özil, Manuel Neuer und Mats Hummels, die 2009 gemeinsam U21-Europameister wurde, stand für den Aufstieg des deutschen Fußballs zur Weltspitze. Jetzt formiert sich die Klasse von 2018, um die Nationalelf zu prägen. Sie soll erst einmal den Abstieg verhindern und dann 2020 bei der EM wieder zur Weltspitze aufschließen.

Löw: „Diese Generation ist sehr talentiert“

„Diese Generation ist sehr talentiert“, sagte Löw, „und die Spieler spielen schon sehr lange zusammen.“ Wie Hummels, Neuer, Özil durchliefen auch Kimmich, Goretzka und Gnabry erfolgreich diverse U-Nationalteams. Kimmich gewann zusammen mit Brandt 2014 die U19-EM. 2016 holte Brandt mit Süle und Gnabry bei Olympia Silber. 2017 siegten Kimmich, Goretzka, Werner, Süle und Brandt beim Confed Cup, während zeitgleich Gnabry, Kehrer und Tah U21-Europameister wurden. „Man muss erst in die Spitze herein wachsen“, mahnte zwar Löw. Das sei auch bei der Generation um Philipp Lahm und Lukas Podolski so gewesen, „aber die Anlagen dazu haben diese Jahrgänge 1995 und 96“, sagte der Bundestrainer.

Seine Kohorte beschrieb der Pariser Kehrer einmal so: „Alle von diesen Jungs sind schon sehr früh fokussiert gewesen auf ihre Ziele und bekamen auch schon früh in ihren Klubs Spielpraxis. Wir bringen alle eine gewisse Siegermentalität und einen besonderen Ehrgeiz mit.“ Qualität und Einstellung hatten dem deutschen Fußball in der Kombination zuletzt gefehlt, weil die Klasse von 2009 müde und langsam geworden ist. Aber Tempo ist die harte Währung im Fußball, und das ist häufig ja das Privileg der Jugend. Löw hat das nun erkannt. Er steht der Zukunft jetzt nicht mehr im Weg.