London. Zverev über das Leben als Deutschlands bester Tennisspieler. Der 21-Jährige stellt auch bei der WM in London hohe Ansprüche an sich.

Alexander Zverev startet ab diesem Wochenende zum zweiten Mal bei der ATP-WM der Tennisprofis in der Londoner O2-Arena, in einer Gruppe mit Novak Djokovic, Marin Cilic und John Isner. Die deutsche Nummer eins behauptete sich 2018 in der absoluten Weltspitze, der 21-jährige Hamburger ist gegenwärtig die Nummer 5 der ATP-Rangliste.

Herr Zverev, wie fanden Sie Ihr bisheriges Tennisjahr 2018?

Alexander Zverev: Es war ein gutes Jahr. Es ist leichter, in die Gipfelregion zu kommen als dort zu bleiben. Ich werde jeden Tag im Jahr gejagt, für viele ist es eine Prämie, gegen mich zu gewinnen.

Wie belastend ist dieser permanente Leistungsdruck für Sie, körperlich wie geistig?

Alexander Zverev: Das Jahr auf der Tour ist schon unheimlich hart. Und: Es gibt hohe Erwartungen bei mir, sehr hohe Erwartungen. In Deutschland ist man eben verwöhnt mit absoluten Spitzenleuten, mit Superstars. Wir hatten Boris Becker, Steffi Graf und Michael Stich. Da muss man dann schon selbst etwas ganz Großes, etwa einen Grand Slam, gewinnen, um positiv wahrgenommen zu werden. Aber ich beklage mich nicht darüber, es ist nur eine realistische Feststellung.

Sie haben selbst als Teenager gesagt: Ich will der Beste sein. Ist Ihnen jetzt klarer, wie schwer das eigentlich ist?

Alexander Zverev: Den Anspruch, der Beste zu sein, habe ich immer noch, keine Frage. Niemand erwartet mehr von mir als ich selbst. Aber ich bin schon realistischer geworden. Ich weiß viel besser, dass es Phasen gibt, in denen man auch mal stagniert in der Weltrangliste, ehe man wieder aufsteigt. Und dass man Spiele verliert, von denen man denkt, man sollte sie gewinnen. Ich würde sagen: Ich kann inzwischen sehr gut einschätzen, wie die Wirklichkeit in einer Karriere aussieht. Aber ich bin eben auch weiter ein Träumer, der seinen Traum verfolgt, die Nummer 1 zu werden.

In den letzten anderthalb Jahren galt die ganze Aufmerksamkeit bei den jungen Spielern nur Ihnen, als dem Mann, der die künftige Nummer 1 werden müsse. Zuletzt rückten aber auch andere Youngster stark in den Fokus: der Grieche Tsitsipas, der Russe Khachanov.

Alexander Zverev: Ich freue mich darüber, es gibt da nicht den geringsten Neid. Es ist nicht leicht, sich in dieser Ära mit Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic zu behaupten und Beachtung zu finden. Nun sind wir aber als nächste Generation dabei, uns doch mit sportlichen Topleistungen zu emanzipieren. Ich glaube, das ist jetzt eine gute Entwicklung fürs Tennis.

Was war der beste Moment in dieser Saison, was die größte Enttäuschung?

Alexander Zverev: Ich bin wirklich zufrieden mit der Konstanz, die ich gezeigt habe. Viele gute Turniere, drei Masters-Finals, ein Masters-Sieg. Auch die Grand Slams waren überwiegend okay. Aber in Paris, bei den French Open, habe ich das Gefühl gehabt: Hier bin ich bereit für was ganz Großes, hier will ich ganz weit kommen, ein Topspiel gegen Nadal oder Thiem haben. Nadal und ich, wir hatten die Sandplatzsaison bestimmt, aber in Paris haben mich dann einfach zum Schluss die Kräfte verlassen.

Sie haben seit den US Open nun auch einen sogenannten Super­coach an Ihrer Seite – Ivan Lendl. Dabei hatten viele in der Branche geglaubt, Boris Becker würde der neue Mann bei Zverev.

Alexander Zverev: Wir haben lange und oft miteinander gesprochen. Und dann festgestellt, dass es jetzt gerade nicht der beste Zeitpunkt ist für eine Zusammenarbeit. Auch, weil es bei ihm viele andere Dinge in seinem Leben gab. Wir haben aber auch gesagt: Wenn alles gut läuft, wird es in ein paar Jahren anders aussehen in dieser Frage. Er hat mir dann zu Lendl geraten, auch wenn sie beide ja nicht gerade die besten Freunde in ihrer aktiven Zeit waren.

Und Lendl? Was hat Ihnen diese Partnerschaft bisher gebracht?

Alexander Zverev: Wir haben schon vieles verändert. Ivan ist ein faszinierender, spannender Typ, der unglaublich logisch und methodisch vorgeht. Und in jeder Sekunde genau weiß, was er tut. Er hat eine sehr klare Vorstellung davon, wie mein Spiel aussehen muss. Und daran arbeiten wir jetzt.

Wie sieht das aus, wenn Sie eine schmerzliche Niederlage kassiert haben? Hören Sie dann gleich Klartext von ihm?

Alexander Zverev: So läuft das nicht. Er weiß, dass sich die Emotionen erst mal legen müssen. Dass man sich abzukühlen hat. Ich gehe inzwischen aber auch besser mit Niederlagen um, sie sind Teil deines Lebens auf der Tour. Es geht nicht, ewig daran herumzuknabbern.

Sie sind hin und wieder mit offenen Worten angeeckt in der Tennisszene – etwa, als Sie nach einer Finalniederlage das Niveau des Spiels als „lächerlich“ bezeichneten.

Alexander Zverev: Es gibt viele Spieler, die gehen in Pressekonferenzen und sagen ein paar nette Dinge – auch wenn sie überhaupt nicht meinen, was sie da sagen. Ich sage offen meine Meinung, das ist einfach meine Natur. Mir ist klar, dass das nicht jedem passt.

Wie gehen Sie mit Kritik um?

Alexander Zverev: Ich habe überhaupt kein Problem mit Kritik. Ich bin prinzipiell selbst mein schärfster und härtester Kritiker. Ich versuche, immer grundehrlich auch zu mir zu sein.

Ist Ihnen generell wichtig, wie Sie beurteilt werden? Wie andere Sie sehen?

Alexander Zverev: Natürlich möchte ich, dass man mich mag. Das ist doch eine normale Reaktion. Auch und gerade in Deutschland, wo ich aufgewachsen bin und fast mein ganzes Leben verbracht habe. Aber bei den deutschen Turnieren wie den Gerry Weber Open oder beim Davis Cup spüre ich echten Rückenwind. Was ich allerdings noch glaube, ist: Viele kennen mich gar nicht richtig.

Wie sehen Sie sich denn selbst?

Alexander Zverev: Klingt jetzt ein bisschen dramatisch: Aber ich versuche immer, ein guter Mensch zu sein. Ich bin immer offen, ehrlich zu anderen Menschen. Ich bin auch ein sehr emotionaler Mensch. Ich habe, wie jeder andere, meine Hochs und Tiefs.