Essen. Graciano Rocchigiani, genannt Rocky, war Box-Weltmeister und Pöbel-Prügler. Der Rheinhauser mit der Berliner Schnauze starb am Dienstag.

Es war die Zeit, als Bettdecken im Kohlenpott noch schwarz wurden, wenn man sie zum Lüften über die Fensterbank legte. Ende der Achtziger Jahre, Graciano Rocchigiani hatte Rheinhausen längst hinter sich gelassen, war in Berlin aufgewachsen, nun aber kam der Duisburger Jung‘ mit der Berliner Schnauze mal wieder in die Nähe seines Geburtsortes zurück.

Düsseldorfer Philipshalle, Box-WM-Kampf im Super-Mittelgewicht gegen Vincent Boulware: Rocchigiani, damals 24, wurde als erst dritter Deutscher nach Max Schmeling und Eckhard Dagge Profi-Weltmeister. Und wie feierte dieser starke Mann? Mit Schampus im schnieken Hotel? Nichts da, Grazze, den alle längst Rocky nannten, fuhr mit seinem Bruder Ralf zu einer Tankstelle, im Auto stießen sie mit Dosenbier an.

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Von Francois Duchateau/Funke Sport (mit dpa/sid)

1988 – Boxen war da noch keine Show, erst später lief Henry Maske zu „Carmina Burana“ ein und saß Uschi Glas bei den Klitschkos in der ersten Zuschauerreihe. Boxen war schmuddelig, umgeben von halbseidener Gesellschaft. So war auch Rocchigiani. Sohn eines sardischen Eisenbiegers, ein rauer, aber ehrlicher Kerl, der sich im Faustkampf übte, als er mit seinem Bruder durch die Discos zog. „Klar, ich habe viel Scheiße gebaut“, sagte Rocchigiani 2013. „Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich für irgendetwas schämen muss.“

Millionen versoffen und verzockt

Sein zerfurchtes Gesicht, es bleibt von Rocchigiani in Erinnerung wie der Bürstenhaarschnitt, der kräftige Oberkörper. Dem Mann, der Millionenbörsen versoff und verzockte, der im Knast saß, weil er einen Hausmeister und einen Taxifahrer vermöbelt hatte, der zuletzt in Berlin von Hartz IV lebte, hat der Boxsport seinen Aufstieg in Deutschland mit zu verdanken.

Obwohl er sich mit ihm immer zoffte, nannte Promoter Wilfried Sauerland Rocchigiani talentierter als Maske. Als der Gentleman, dessen Kämpfe RTL Anfang der Neunziger Jahre geradezu zelebrierte. Der 88er Olympiasieger aus der DDR war einer von zwei Gegnern, die Rocchigianis Boxerleben maßgeblich beeinflussten. Der WM-Kampf 1995 stand für Rocky unter dem Motto „Wessi und Ossi hauen sich auf die Schnauze“. Maske ging zu Boden, wurde aber nicht angezählt. Am Ende ein umstrittener Sieg für den Saubermann. Rocchigiani begeisterte die Massen, war aber eben der Pöbel-Prügler.

Diesen Ruf hatte er spätestens seit den beiden Kämpfen gegen Dariusz Michalczewski, zwei Feinde fürs Leben. Beim ersten 1996 führte Rocchigiani klar nach Punkten, als Michalczewski nach einem Trennkommando des Ringrichters getroffen wurde. Abbruch, angeblich war der Weltmeister kampfunfähig, er durfte den Titel behalten. Verbal gingen die Schläge danach noch viel häufiger in die Tiefschutz-Region. Und doch bekam Rocchigiani Unterstützung. „Er ist ja in seinem Leben immer beschissen worden“, sagte Ex-Weltmeister Sven Ottke. Wobei: Die Rückkämpfe gegen Maske und Michal­czewski gingen beide klar verloren.

Schadensgeld in Höhe von 4,5 Millionen Dollar

Der letzte sportliche Tiefschlag ereignete sich 1998: Rocky wurde zwar im Halbschwergewicht gegen Michael Nunn (USA) erneut Weltmeister, vier Monate später ernannte der Verband WBC aber einen anderen zum Champion. Rocchigiani fühlte sich bestohlen, ein Gericht in New York gab ihm Recht – man einigte sich 2004, ein Jahr nach dem Karriere-Ende, auf ein Schadensgeld in Höhe von 4,5 Millionen Dollar.

So schnell wie der Titel war auch das Geld futsch. Rocchigiani hat im Boxring wie im Privatleben so viel verloren wie gewonnen. In Duisburg wollte er ab 2006 in „Rocky’s Gym“ Jugendlichen seine Doppeldeckung beibringen. Das Projekt endete, auch eine Kneipe auf Mallorca wurde dicht gemacht. Trotzdem sagte er über sich: „Ick hab‘ wenigstens wat zu erzählen, langweilig war det nie.“ Erzählen kann er nun nicht mehr. Am Dienstag starb Graciano Rocchigiani auf Sizilien, wo er eine Lebensgefährtin hatte, nach einem Verkehrsunfall im Alter von 54 Jahren. Er wurde von einem Auto überfahren.