Singapur. In Singapur eilte Hamilton der Konkurrenz erneut davon. Der Frust sitzt tief bei Sebastian Vettel. Ferrari fehlt entscheidender Grip.

Es war kein gutes Omen, das unmittelbar vor dem Großen Preis von Singapur der katholische Geistliche Don Sergio Mantovani in Maranello verschieden ist. Der 92-Jährige war der Rennfahrer-Kaplan von Ferrari, der schon den alten Enzo gut gekannt hatte. Der 14. WM-Lauf der Formel 1 war seinem Gedenken gewidmet. Dabei bräuchten die Scuderia und ihr deutscher Titelkandidat Sebastian Vettel jetzt gerade dringend Beistand. Vor allem technischen und taktischen, aber durchaus auch spirituellen. Angesichts der neuerlichen Strategie-Panne beim Nachtrennen und der unheimlichen Stärke von Sternenkrieger Lewis Hamilton und seinem Mercedes-Team drohen die Herausforderer den Glauben an sich zu verlieren.

„Ich frage mich, wo das Tempo von Ferrari hingekommen ist“, sagt nicht nur Titelverteidiger Lewis Hamilton, der mit fast 40 Sekunden Vorsprung auf den hinter Max Verstappen drittplatzierten Heppenheimer ins Ziel gekommen ist. Diese Zahl passt zum Rückstand Vettels in der WM-Gesamtwertung, der sich auf 40 Punkte beläuft. Die Roten haben sich selbst verwundet, zum wiederholten Mal. Die Bilanz aus den letzten fünf Rennen ist verheerend, sie demonstriert, wie Hamilton davonziehen konnte: mit vier Siegen kommt er auf 118 Zähler, Vettel mit nur einem auf lediglich 70 Punkte. Besonders gilt es dabei zu beachten, dass drei Rennstrecken als perfektes Ferrari-Territorium gelten, so wie der Marina Bay Street Circuit. Deshalb wiegen die Patzer doppelt schwer. Die entscheidende Frage lautet daher: Bringt Ferrari Vettel um den Titel?

Katastrophale Reifenwahl

Sicher, Mercedes hat es geschafft, den PS-Vorsprung der Italiener durch unermüdliche Abstimmungsarbeit so zu kompensieren, dass Hamiltons Dienstwagen mithalten kann, und wenn der Fahrer dann noch den „Sternenstaub“ (Teamchef Toto Wolff) über seine Runden streut, wie in der samstäglichen Qualifikation, kaum zu schlagen ist. Man verstehe das Auto jetzt erst richtig, heißt es bei der Silberpfeil-Fraktion. Vor allem: man versteht sich. Es sei eine Ehre für sie, sagen die Techniker, mit einem Fahrer wie Hamilton zusammenarbeiten zu können.

Das, was Sebastian Vettel im Sauna-Grand-Prix am Sonntag geleistet hat, war eine nicht minder großartige Darbietung. Aus der Verzweiflung heraus hatte er nach dem Strategiefehler am Boxenstand der Scuderia 45 Runden auf ultrasoften Reifen durchgehalten, das ist etwa das Doppelte der prognostizierten Haltbarkeit. Es war ein verzweifelter Kampf, bei dem nie ein Happyend in Sicht war. Doch ohne dieses technische Konditionswunder, das einen exzellenten Umgang mit dem Autovoraussetzt, wäre der Titel jetzt wohl schon verloren. Ein zusätzlicher Boxenstopp hätte ihn auf Platz sechs zurückgeworfen.

Die Reifenwahl am ganzen Wochenende war katastrophal, nie wurde die richtige Mischung im richtigen Moment getroffen. Vettel, der in der Boxengasse und auf dem Podium wie in Trance wirkt und das Halbdunkel zu suchen scheint, stellt sich dennoch demonstrativ hin: „Ich werde mich immer vor das Team stellen.“ Es mag das Scheinwerferlicht sein, das vieles verzerrt, aber er wirkt klein dabei, sein Lächeln dabei schmal und gequält. Das Debakel von Singapur ist für ihn abgehakt, die Frage ist, was hinter verschlossenen Werkstoren in Maranello passiert. Nach der Schlappe von Monza soll es ziemlich geruckelt haben in der gestione sportiva

In Singapur höhnen die RTL-Reporter, dass der Ferrari-Stratege der schlechteste Praktikant des Monats sei, Christian Danner bescheinigt dem Team, es „vermurkst“ zu haben. Vettel sagt: „Wir müssen genau betrachten, was da schief gelaufen ist. Unnötig Punkte zu verschenken, das hilft in meiner Situation sicher nicht.“ Nett ausgedrückt.

Vettel: "Es ist enttäuschend"

Rein strategisch betrachtet hatte Ferrari gar keine andere Wahl, als Mercedes zu provozieren. Hamilton fuhr anfangs betont langsam, dann zog er plötzlich davon, mit um drei Sekunden schnelleren Rundenzeiten. Die Lücke drohte für den zu diesem Zeitpunkt zweitplatzierten Vettel zu groß zu werden. Man wählte einen aggressiven frühen Stopp, man ging mit der noch aggressiveren Reifenwahl ein großes Risiko. Mercedes reagierte sofort, mit einer Nummer-Sicher-Mischung. Hamilton würde durchfahren können, Vettel glaubte das zu diesem Zeitpunkt selbst nicht. Als Vettel im Verkehr stecken blieb und sich dann auch noch Max Verstappen wieder zwischen die beiden Titelkandidaten schob, war die Nummer gelaufen. „Wir hatten gute Gründe, haben eine Möglichkeit gesehen, aber es hat nicht funktioniert. Vor allem aber waren wir nicht schnell genug“, bilanzierte der WM-Zweite später.

Sebastian Vettel hatte genug damit zu tun, das Auto heil nach Hause zu bringen. Ein Dasein im Niemandsland des Rennens. „Es ist ganz einfach jetzt“, sagt Vettel, „wenn wir von jetzt an jedes Rennen gewinnen, sind wir sicher. Das ist das, was wir anstreben müssen.“ Ziemlich genau eine Stunde nach der Zieldurchfahrt kommt dem Ferrari-Piloten jenes Wort über die Lippen, dass den missratenen Abend am besten, aber eben auch am schmerzlichsten zusammenfasst: „Es ist enttäuschend.“