München. Nationalspieler Julian Draxler spricht über seinen Umgang mit dem WM-Aus, den Neuanfang, Teamgeist und den Rücktritt von Mesut Özil.

Julian Draxler (24) weiß wie es ist, Weltmeister zu sein. Und seit diesem Sommer, weiß er auch, wie es sich anfühlt, sich bei einer WM zu blamieren. Wenn der deutsche Fußball am Donnerstagabend seinen Neustart ausruft, dann geht es in der Nations League gegen Frankreich. Den Weltmeister. Die Mannschaft mit Stars wie Kylian Mbappé, mit dem Draxler bei Paris Saint-Germain zusammenspielt. Im Interview spricht er über die Lehren aus dem WM-Debakel, über Grüppchenbildung – und darüber, warum der französische Fußball dem deutschen enteilt ist.

Herr Draxler, verraten Sie uns bitte, wie man ein historisches Debakel wie jenes bei der WM in Russland abstreift?

Julian Draxler: Jeder macht das zunächst auf seine Art. Ich habe direkt nach dem Turnier den nächsten Flieger nach Amerika genommen: neun Stunden Zeitverschiebung, kaum noch WM geguckt, Kopf freikriegen. Ich wollte mit Fußball nichts zu tun haben, habe das Handy weggelegt und Zeit mit Freunden verbracht. Aber zwischendurch kehren die Gedanken zurück, wenn man weiß: Okay, jetzt ist Halbfinale, Finale, da wollten wir eigentlich dabei sein und sind es nur nicht, weil wir es selbst in den Sand gesetzt haben. Das tat und tut noch immer weh.

Machen Sie sich selbst Vorwürfe?

Draxler: Ich bin weit davon entfernt, zu sagen, dass ich mich von jeder Schuld freispreche. Es kam zu wenig von mir. Der letzte Funke hat auch bei mir gefehlt. Die Gründe dafür zu finden, ist nicht einfach.

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Draxler: Ich habe mir wahnsinnig viel vorgenommen, habe mich über Monate intensiv vorbereitet auf die WM, aber das Wichtigste habe ich nicht hinbekommen: Die Leistung auf den Platz zu bringen, die ich von mir selber erwarte und mit der ich die Mannschaft bereichere.

Sie deuteten an, dass der Teamgeist im Vergleich zu 2014 gelitten habe. Wann hat sich das gezeigt und wie kriegt man das wieder hin?

Draxler: Wir müssen bedenken, dass wir aus einer extrem erfolgreichen Zeit kommen: Das Gefühl bei der WM 2014 war Wahnsinn. Da waren wir ein verschworener Haufen. Wenngleich in der Vorrunde noch nicht alles rund lief, hat jeder gemerkt: Hier kann nichts passieren, wir stehen zusammen, nichts bringt uns auseinander. Da kann kommen, was will. Doch dieses Mal waren wir nicht ganz so eng zusammen.

Was bedeutet das?

Draxler: Man merkt es an Kleinigkeiten. Etwa, dass man mal länger zusammen am Tisch beim Abendessen sitzt. Einzelne Gruppen sind völlig normal, das gibt’s überall im Leben. Grundsätzlich konnte bei uns jeder mit jedem, es gab weder Böswilligkeiten noch Lästereien. Wer Einsicht in unser Teamgefüge hatte, wird das bestätigen. Aber der Geist, der in Brasilien entstanden ist, den hatten wir dieses Mal nicht. Der hat gefehlt und den kann man auch leider nicht künstlich heraufbeschwören. Nichts ist schwerer, als dieses Gefühl entstehen zu lassen. Entweder es passiert, oder es passiert nicht. Dieses Mal eben nicht, da müssen wir alle uns wieder mehr einbringen.

Zuletzt in der Berichterstattung war die Rede von diesen Gruppen in der Mannschaft, von „Kanaken und Kartoffeln“. Sie waren stets Teil der Gruppe von Spielern mit Migrationshintergrund. Wie bewerten Sie all das?

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Draxler: Ich verstehe, dass darüber berichtet wird. Auch haben wir diese Diskussion innerhalb der Mannschaft zur Kenntnis genommen und wünschen uns, dass man dem Ganzen ein bisschen die Schärfe nimmt. Klar, der eine kann mit dem besser, der andere mit dem. Das ist doch ganz normal, das kennt sicherlich jeder. Dass wir aber total isoliert waren oder gegeneinander gekämpft haben, war definitiv nicht der Fall. Grundsätzlich kann bei uns im Team jeder mit jedem – das zählt. Wir wollen ein Vorbild für Integration sein.

Bundestrainer Joachim Löw und auch DFB-Direktor Oliver Bierhoff haben gesagt, dass sie bislang keinen Kontakt zum zurückgetretenen Mesut Özil hatten. Sie beide verbindet eine Freundschaft. Hatten Sie Kontakt zu ihm?

Draxler: Ja, regelmäßig. Aber das ist privat und das soll es auch bleiben.

Wie bewerten Sie seinen Abschied?

Draxler: Ich finde es sehr, sehr schade, wie das geendet ist. Für alle. Mesut ist ein verdienter Spieler der Nationalmannschaft. Der DFB hat ihn als einen der ersten türkischstämmigen Spieler damals super integriert. Und es war jahrelang eine einzige Erfolgsgeschichte. Der Bundestrainer und Mesut haben sich immer sehr gut verstanden, ich glaube nicht, dass das einfach so im Sande verläuft.

Der deutsche Fußball steht vor einem Neuanfang. Wie wollen Sie den mitgestalten?

Draxler: Aktiv. Ich bin jetzt sechs, sieben Jahre dabei und in einem guten Alter, noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich habe in meiner Karriere auch schon einiges erlebt, nicht zuletzt beim Confed Cup 2017 als Kapitän unserer Mannschaft. In erster Linie muss ich Leistung zeigen. Alles andere entwickelt sich automatisch. Wenn du auf dem Platz deine Leistung bringst, wenn du es schaffst, wichtig und unersetzbar für die Mannschaft zu sein, dann nimmst du auch neben dem Platz eine wichtige Rolle ein. Ich bin kein Freund davon, sich in so eine Führungsrolle hineinzureden. Das sollte man erst einmal auf dem Platz regeln und intern seine Meinung kundtun. Das habe ich vor.

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Wie war der Kontakt zu Bundestrainer Joachim Löw zuletzt? Hat er Ihnen gesagt, dass er auf Sie zählen wird?

Draxler: Nach der WM gab es zunächst gar keinen Kontakt. Die jetzige Länderspiel-Phase dient natürlich auch dazu, den Austausch wieder zu forcieren. Die Verbindung zwischen mir und dem Bundestrainer ist sehr gut, nach wie vor. Wir haben über die Jahre eine gute Beziehung entwickelt.

Lothar Matthäus kritisiert in seiner Kolumne, dass Sie nominiert wurden. In Paris, argumentiert er, seien Sie nur Reservist und eine Pause täte Ihnen gut. Wie empfinden Sie das?

Draxler: Jeder darf seine Meinung äußern, aber ich sehe keinen Grund, mir einen ‚Denkzettel‘ zu verpassen. Denn ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen bei der Nationalmannschaft. Sportlich habe ich den letzten Jahren gute Leistungen gebracht, deshalb verstehe ich die Aussage von Lothar Matthäus nicht, nehme sie aber zur Kenntnis.

Es wurde medial problematisiert, dass Sie eine Spielkonsole mit bei der WM hatten.

Draxler: Es ist ja nicht so, als wenn ich jede Nacht bis vier, fünf Uhr gezockt hätte. Dann wäre es etwas anderes. Ich achte sehr professionell darauf, wie ich meine Freizeit gestalte.

Bei Paris St.-Germain arbeiten Sie unter Trainer Thomas Tuchel. In drei Spielen kamen Sie nur 32 Minuten zum Einsatz. Reicht Ihnen das?

Draxler: Ich hatte einen schwierigen Start, aber das liegt überhaupt nicht an Thomas Tuchel. Ich hatte nach dem Urlaub einige körperliche Probleme, musste individuell trainieren und habe mich im ersten Saisonspiel leicht verletzt. Für mich gilt, mich im Training bei Paris noch mehr anzubieten, mich aufzudrängen, dann werde ich auch wieder spielen.

Wie ist die Arbeit mit ihm?

Draxler: Gut. Das Training ist vielseitig und anstrengend. Er fordert viel ein, ist sehr akribisch. Wenn du mit 80 Prozent das Training absolvieren willst, dann haut er nach fünf Minuten dazwischen und sagt: ‚Wenn du nicht gleich im Training ankommst, dann knallt’s!‘ Aber das ist gut. So entwickelt man sich weiter. Und ich habe große Lust, mit ihm zusammenzuarbeiten.

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Sie spielen in der französischen Liga in eine Klub mit dem französischen Superstar Kylian Mbappé. Was unterscheidet den französischen Fußball gerade vom deutschen?

Draxler: Dass die Franzosen in der Offensive momentan ein paar Raketen haben, die freier sind und weniger ans System gebunden, die auch mal verrückte Sachen machen, mal ein Eins-gegen-eins oder Eins-gegen-zwei gewinnen. Uns fehlt derzeit so ein bisschen das Überraschungsmoment, das die Franzosen mit ihren brutalen Einzelkönnern haben. Wir spielen aus unserem System und setzen auf Passspiel. Der Fußball entwickelt sich aber immer mehr dahin, dass alle Mannschaften gut verteidigen können und man Leute braucht, die mit Dribblings Platz für die anderen schaffen. Da hat Frankreich gegenüber uns die Nase vorn. Diese Lücke wollen wir wieder schließen.

Aber Sie sollten doch eigentlich ein Spieler sein für das Überraschungsmoment.

Draxler: Ja. Auch wenn ich es bei der WM nicht auf den Rasen bekommen habe: Ich kann‘s. Davon bin ich überzeugt. Jetzt greife ich wieder voll an.