München. Beim Neustart gegen Frankreich will Bundestrainer Löw defensiver auftreten. Ein Staubsauger vor der Abwehr ist eine Idee.

Joachim Löw wurde geblendet. Der Bundestrainer hielt sich die Hand vor die Augen, als er im Vorfeld des Länderspiels gegen Frankreich an diesem Donnerstag (20.45 Uhr/ZDF) zur Nation sprach. Dann aber sagte der 58-Jährige, wonach das gekränkte, ehemalige Weltmeisterland seit dem blamablen Sommer verlangt: „Wir sind gewillt, ein völlig anderes Gesicht zu zeigen.“

Wie dieses Gesicht der deutschen Nationalelf aussehen soll, beschrieb Löw nicht genau. Nur, dass es verstärkt nach hinten auf die Abwehrarbeit schauen wird. Bei der WM hatte dafür völlig der Blick fehlte. Löw hatte sich dort blenden lassen vom Irrglaube der eigenen Stärke. Jetzt soll das anders und das Primat des reinen Ballbesitzfußballs hinterfragt werden. „Wir brauchen eine bessere Balance im Spiel“, sagte Löw. „Wir müssen Anpassungen vornehmen, dass wir nicht mehr in so viele Konter laufen. Und wir müssen das Bewusstsein schaffen, dass wir unser Tor auf Teufel komm raus verteidigen.“

Seit Löws dünnem Vortrag seiner WM-Analyse konnte man glauben, der Bundestrainer werde sich und auch seine Elf nicht groß verändern. Gegen Frankreich allerdings wird der erwiesene Offensivliebhaber aller Voraussicht nach einen für seine Verhältnisse üppigen Strategiewechsel vornehmen. Er wird nach Informationen dieser Zeitung zurückkehren zu einem deutschen Fußballmythos – nur in moderner Ausprägung: dem Vorstopper. Seit „Katsche“ Schwarzenbeck 1974 und Guido Buchwald 1990 werden in Deutschland Profis verehrt, die das Spiel des Gegners zerstören. „Staubsauger“ vor der Abwehr werden sie genannt, „Abräumer“ oder „Sechser“. Sie haben maßgeblich zur Identifikation mit den sogenannten „deutschen Tugenden“ beigetragen: Zweikampfstärke, Härte, Disziplin. Doch im Buchwald-Land gibt es heute keine Buchwalds mehr. Löw hat jetzt zwar sieben Innenverteidiger in seinem Kader, aber keinen einzigen echten defensiven Mittelfeldspieler. Sebastian Rudy soll sich nach seinem Wechsel zu Schalke 04 erst dort eingewöhnen.

Kimmich - oder sogar Kehrer

Deshalb muss Löw erfinderisch werden. Er hat sich in einem Kader umgeschaut, wer die Position vor der Abwehr gegen starke Gegner wie Weltmeister Frankreich übernehmen könnte. Und er ist dabei auf zwei Namen gestoßen: Joshua Kimmich und Thilo Kehrer. Der Münchner Kimmich ist ein gelernter, defensiver Mittelfeldspieler, der in Ermangelung von brauchbaren Rechtsverteidigern umgeschult wurde. Nun könnte der 23-Jährige wieder auf seine Lieblingsposition zurückkehren. Er wäre dann ein moderner Vorstopper, wie Philipp Lahm ihn bei der WM 2014 zeitweise spielte: passsicher, laufstark und strategisch fähig, die Pass- und Laufwege des Gegners zuzustellen. Er wäre die deutsche Version des französischen Wachhundes N'Golo Kanté. Weil Löw künftig nicht mehr mit so offensiven Außenverteidigern spielen lassen will wie noch bei der WM, könnte Kimmich dort ein Innenverteidiger ersetzen.

Der Neu-Pariser Kehrer, der kürzlich für 37 Millionen Euro aus Schalke transferiert wurde, ist eigentlich Innenverteidiger. Er kann in der Abwehr aber auf jeder Position spielen. Bei Schalke setzte ihn Domenico Tedesco in der vergangenen Saison auch zweimal im Mittelfeld ein. Kehrer jedoch ist jetzt erstmals bei der Nationalelf dabei. Löw würde ein Risiko mit ihm eingehen.

Toni Kroos weiß, das ein Staubsauger nützlich ist. Bei Real Madrid genießt der Spielmacher, dass der Brasilianer Casemiro die Defensivarbeit hinter ihm verrichtet. Bei der WM hingegen musste Kroos beides erledigen: Spiel antreiben und zerstören. Er scheiterte daran. „Casemiro ist ein Typ, den wir bei der Nationalelf nicht haben“, sagte der 28-Jährige. Aber: „Ich denke, das wir neue Lösungen finden. Ich habe da ein gutes Gefühl.“ Als Kroos das aussprach, lächelte er wie einer, der mehr weiß.