Monza. Traditionell gefährlich: Die Ferrari-Heimstrecke lebt vom Tempo. Auch beim Training vor dem Italien-GP gab es einen schweren Unfall.

Die Szene des Rennwochenendes hätte einer Kunstturn-Weltmeisterschaft alle Ehre gemacht. Beim zweiten freien Training zum Großen Preis von Italien biegt der Sauber-Ferrari von Marcus Ericsson am Ende der Start- und Zielgeraden beim Anbremsen vor der Schikane seitlich in die Barrikaden ab, dreht sich, wird angehoben, um sich dann auf dem Grünstreifen x-fach zu überschlagen und auf den Rädern wieder zu stehen zu kommen. „Ich bin okay“, kommt es leicht gequält aus dem Cockpit. Wie sich später herausstellt, passiert der Abflug bei 324 km/h. Das Auto ist ein Wrack, dem Mensch ist nichts passiert. Es ist die zweite dramatische Formel-1-Unfallszene in Folge, in der spektakuläre Crashs glimpflich ablaufen. Schon stellt sich im Autodromo Nazionale die Frage, ob die Königsklasse ihre Glück zu sehr herausfordert.

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Monza, das war schon immer Tempo. Und damit zwangsläufig Drama. Graf Berghe von Trips, der erste Kerpener Rennfahrer von Weltrang, verlor 1961 in der heute nicht mehr benutzten Steilkurve sein Leben. 1970 erwischt es den Mainzer Jochen Rindt, den ersten Post-hum-Weltmeister der Geschichte. Es gibt keinen Geschwindigkeitsrausch ohne Risiko, das macht einen Teil der Faszination aus. Heute haben die Motoren fast 1000 PS, die Spitzengeschwindigkeiten reichen an die 370 km/h heran. Ein kleiner Fehler, ein winziges technisches Versagen – und der kleingedruckte Satz auf jeder Eintrittskarte wird plötzlich zum großen Thema: Motorsport ist gefährlich.

An Ericssons Auto hatte offenbar eine Feder versagt, die den Flügel zum Eingang der Kurve wieder hätte gerade stellen sollen. Dafür erfüllten die Sicherheitsmaßnahmen ihren Zweck: Alle vier Räder blieben trotz dreier Salti und einer Schraube dran, und der Schutzbügel über dem Cockpit wurde zwar schwer verschrammt, hielt aber stand. Halo nennt sich das bei Fahrern wie Fans gleichermaßen umstrittene Teil, Englisch für Heiligenschein. Die Gegner regen sich über die dadurch zerstörte Rennwagen-Ästhetik auf, die Funktionäre argumentieren, dass man die Piloten manchmal zur Vernunft zwingen müsse.

"Wenn Halo Leben rettet, müssen wir ihn akzeptieren"

Der Start in Spa, als Nico Hülkenberg mit seinem Renault den McLaren von Fernando Alonso so rammte, dass dieser über den Sauber von Charles Leclerc geschoben wurde, war für Renndirektor Charlie Whiting ein Beweis für die Richtigkeit der Maßnahme. Der Brite kündigt schon die nächste Ausbaustufe des Mechanismus an, viele fürchten, dass irgendwann eine Kapsel wie bei einem Kampfjet das Cockpit krönen wird. Bis zum 28fachen der Erdbeschleunigung wirkten bei Ericssons Überschlägen auf das Auto. „Ich bin okay, aber das war heftig“, sagte der Schwede nach dem unfreiwilligen, aber erfolgreich bestandenen Crashtest.

Nico Hülkenberg, einer der Halo-Gegner, der sich zur öffentlichen Widerrede traute, zeigt sich inzwischen einsichtiger: „Ich bin kein Fan vom Halo, aber man muss auch die Fakten sehen. Wenn er ein Leben rettet, müssen wir ihn akzeptieren.“ Wenn man in Spa und Monza von Wundern sprechen will, dann sind es technische Wunder. Pures Glück hatte der Streckenposten, der in der Schikane von Monza an der Bande stand, als sich Ericsson dort überschlug, Zentimeter trennten den Mann davon, erschlagen zu werden. Im Jahr 2000 war in Monza ein Feuerwehrmann in der Auslaufzone nach einem Massencrash durch ein Rad zu Tode gekommen, dass von Heinz-Harald Frentzens Jordan-Rennwagen weggeflogen war.

Eingangs der Haupttribüne in Monza hängt ein großes Plakat mit dem Schriftzug: „Jules, Du wirst für immer in unseren Herzen sein“. Es erinnert an den Franzosen Jules Bianchi, dem bislang letzten Todesopfer unter den Formel-1-Piloten. Der angehende Ferrari-Pilot war Ende 2014 im Regen von Suzuka mit seinem Marussia-Rennwagen unter einen Bergungskran gerutscht und nach mehr als einem halben Jahr Koma dann seinen schweren Kopfverletzungen erlegen. Dieser Unfall hatte die Halo-Initiative ausgelöst. Sein Freund Charles Leclerc ahnt aber: „Jules hätte der Halo nicht helfen können”, sagt Leclerc. „Die Verzögerung war einfach zu stark.“ Rennfahrer leben immer am Limit, aber die Grenzen der Physik können auch sie nicht außer Kraft setzen.