Berlin. Wenn Bundestrainer Löw heute seine WM-Analyse und den Rettungsplan für die Nationalmannschaft vorstellt, ist eine Revolution nicht zu erwarten.

Joachim Löw hat zwei Monate geschwiegen. Aber als er nach der Jahrhundertblamage der deutschen Fußball-Nationalelf bei der WM endlich aus seiner selbst gewählten Studierphase des Scheiterns auftauchte, fand er immerhin die richtigen Worte: „Es war mein Fehler.“

Als Löw vor einer Woche Vertretern der Bundesliga in Frankfurt/Main seine Analyse zum Vorrunden-Aus in Russland und seine Strategie zum Wiederaufbau des deutschen Fußballs präsentierte, da fiel auch dieser Satz: „Ich habe das nicht richtig eingeschätzt.“ Das berichtet einer, der dabei war, und auch, dass alle Anwesenden durchaus angetan waren von Löws Fähigkeit zur Selbstkritik. Sie sorgt dafür, dass sich der 58-Jährige an diesem Mittwoch, wenn er auch die Öffentlichkeit bei einer Pressekonferenz in der Münchner Arena (12 Uhr) einweihen wird, der Rückendeckung großer Teile aus der Fußballbranche gewiss sein kann. Anders als DFB-Präsident Reinhard Grindel, aber dazu später mehr.

Löw wird über die Ausbildung und Ballbesitzfußball sprechen

Mit Spannung erwartet wird der Vortrag Löws, der durch sein langes Schweigen fast in den Rang eines Staatsaktes rückt. Aber die großen Erwartungen, vielleicht sogar der Wunsch nach einer Revolution, Löw wird beides nicht erfüllen. Tritt er so auf wie vor den Bundesliga-Vertretern in Frankfurt, wird es eher ein kleiner Neustart. Er wird davon sprechen, dass es in der Ausbildung Änderungen bedarf. Dass gezielt Eins-gegen-Eins-Spieler gefördert werden müssten. Und er wird einräumen, dass sein Ballbesitzstil hinterfragt werden muss.

Löw gibt bekannt, welche Spieler am Wiederaufbau beteiligt werden

Löw wird in München auch den Kader für die beiden ersten Länderspiele nach der WM gegen Frankreich (6. September) und Peru (9. September) bekanntgeben. Daraus wird geschlossen, wer beim Wiederaufbau des bis auf Rang 15 der Fifa-Weltrangliste abgestürzten Ex-Weltmeisters dabei sein darf. Auch hier sind keine großen Überraschungen zu erwarten: Er werde keine populistischen Maßnahmen vornehmen, nur um die Volksseele gnädig zu stimmen, soll Löw in Frankfurt gesagt haben. Bis auf Mesut Özil und Mario Gomez ist kein Spieler zurückgetreten. Mit Toni Kroos, Manuel Neuer, Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels will der Kern der Elf weitermachen. Auch Ilkay Gündogan hat im Interview mit dieser Redaktion angekündigt, trotz der Affäre um ihn, Özil und die Erdogan-Fotos weiterspielen zu wollen. Löw ist hier ein Gefangener seiner selbst. Sein Stilmittel war stets Vertrauen. Dieses nun verdienten Weltmeistern von 2014 öffentlich zu entziehen, um Härte zu demonstrieren, passt nicht zu ihm. Löw soll in Frankfurt gesagt haben, er werde nach Leistung entscheiden. Sami Khedira könnte er leise aussortieren, indem er ihn nicht mehr nominiert.

Die Generation Confed-Cup rückt in den Fokus

Löw hatte innerhalb seines Trainerstabs schon kurz nach dem WM-Scheitern eingeräumt, nicht radikal genug auf die neue Spielergeneration der Confed-Cup-Sieger von 2017 gesetzt zu haben. Das wird er nun nachholen. Leon Goretzka, Niklas Süle und Julian Brandt werden stärker gefragt sein. Dass Leroy Sané von Manchester City zurückkehrt, der vor der WM aussortiert wurde, gilt als wahrscheinlich. Löw wird perspektivisch neue Spieler berufen: Der Leverkusener Mittelfeldspieler Kai Havertz ist hochveranlagt. Auch der für 37 Millionen Euro nach Paris gewechselte Ex-Schalker Thilo Kehrer könnte ein Kandidat für die Abwehr sein. Und dann gibt es noch den neuen Schalker Angreifer Mark Uth (27), den Löw sehr schätzt.

Aber auch hinter der Mannschaft wird sich etwas ändern: Löws Co-Trainer seit 2014, Thomas Schneider, dürfte gehen. Auch Löws langjähriger Gefährte, Chefscout Urs Siegenthaler, könnte zukünftig nicht mehr zum Betreuerstab gehören. Ein Leiter der geplanten DFB-Akademie ist mit Tobias Haupt (34), einem Sportmanagement-Professor aus Ismaning, bereits gefunden. Ein neuer DFB-Sportdirektor soll noch kommen. Hansi Flick, Löws Co-Trainer bis 2014, soll der Wunschkandidat des Bundestrainers sein. Ob er es macht, ist allerdings fraglich.

Harte Kritik an DFB-Präsident Reinhard Grindel

„Die ganze Mannschaft – und damit auch die sportliche Leitung – müssen so arbeiten, dass die Fans am 6. September eine andere Mannschaft sehen“, sagte DFB-Präsident Grindel am Montag. Im Gegensatz zu Löw und Nationalelfdirektor Oliver Bierhoff wurde er von den Bundesliga-Vertretern hart kritisiert. Vor allem, weil sich der 56-Jährige nicht genug hinter Löw und Bierhoff gestellt hatte und in der Erdogan-Affäre um Özil und Gündogan kein gutes Bild abgab. Aber auch das wird zu Löws Neuaufbau gehören: Die Nationalmannschaft hat sich in Russland und danach als Symbol für ein erfolgreiches, weltoffenes Deutschland selbst beschädigt. Berichte über einen tiefen Riss entlang der Spieler mit Migrationshintergrund, auch wenn sie wohl überspitzt sind, haben neuen Zündstoff geliefert. Löw wird auch darauf Antworten finden müssen.