Glasgow. Um die Jugend nicht zu verlieren, ist BMX-Fahren seit 2008 olympisch. Doch der Sport ist erwachsen geworden und kämpft um Anerkennung.

Die Sache mit dem Feigenblatt haben sie schon oft gehört. Dass das Internationale Olympische Komitee ihren Sport 2008 in Peking nur deshalb ins Wettkampfprogramm aufgenommen habe, um seine Blöße zu bedecken und die Jugend nicht zu verlieren, die vom traditionellen olympischen Kernsport nicht mehr abgeholt wird, da sei schon etwas dran, sagt Florian Ludewig. „Anfangs sollten wir sicherlich diese Rolle spielen. Aber mittlerweile haben wir uns so gut entwickelt, dass man uns eher in die Schublade der traditionellen, professionell geführten Sportarten stecken sollte.“

Florian Ludewig, 36 Jahre alt, geboren in Celle, ist seit fünf Jahren beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) als hauptamtlicher Bundestrainer der Sparte BMX angestellt. BMX, das steht für Bicycle Motocross, also für durch Muskelkraft angetriebene Crossrennen auf zwei Rädern. Bei den European Championships in Glasgow wollen die Actionkünstler die Gelegenheit nutzen, sich dem breiten Sportpublikum, das diese erste Multisport-EM anzieht, als das zu präsentieren, was sie selbst in ihrem Sport sehen: mitnichten ein Nischenprodukt, sondern einen Wettkampf auf höchstem Niveau, der durch seine spektakuläre Mischung aus Radrennen und Sprungartistik begeistert.

Niederlande und Frankreich sind die Favoriten

Der Mann, dem sie im BDR-Team die größten Chancen zuschreiben, am Sonnabend den Finallauf der besten acht zu erreichen, sitzt am Donnerstagmorgen auf der Tribüne im Knightswood Park und lässt den Blick über die neu gebaute Strecke schweifen. Liam Webster ist mit seinen Teamkollegen am Mittwoch in Schottland angereist. Eine Trainingseinheit bleibt ihm, um sich auf die Tücken des Kurses einzustellen, dann muss er bereit sein für den Medaillenkampf, den wahrscheinlich die Topnationen Frankreich und Niederlande unter sich ausmachen werden.

„Natürlich ist diese EM eine tolle Chance, auf unseren Sport aufmerksam zu machen. Mich spornt das zusätzlich an, denn normalerweise haben wir selten fachfremde Zuschauer“, sagt der 20-Jährige, der 2011 mit seinen Eltern und Bruder Axel (18), der ebenfalls im EM-Aufgebot steht, aus Südafrika nach Cottbus zog. Am dortigen Sportinternat konnte er seinen Sport auf professioneller Ebene ausüben und gleichzeitig sein Abitur machen. Erst seit diesem Wechsel müssen Vater Sydney und Mutter Nicole, deren Wurzeln die Brüder ihre deutsche Staatsangehörigkeit verdanken, nicht mehr für die Reisekosten ihrer Söhne aufkommen, die nun der Verband übernimmt.

Schon mit sieben Jahren werden weltweit Rennen gefahren

„BMX ist ein Sport für Gutsituierte, denn wir sind der einzige Sport, in dem man schon mit sieben Jahren weltweit Rennen fährt. Und man muss in der Jugend international antreten, um den Anschluss zu behalten“, sagt Bundestrainer Ludewig. Mit einem Altersdurchschnitt von 24 bei den Sommerspielen in Rio 2016 unterstrich BMX allerdings, dass seine Athleten nicht so jung sind wie die Zielgruppe, die sie bedienen sollen. „Auch das ist ein Beleg dafür, dass wir ein ernst zu nehmender Sport sind“, sagt Ludewig.

Jedes Jahr gibt es im BMX eine EM und eine WM, dazu bis zu 20 Weltcuprennen. Sportlich haben die kontinentalen Titelkämpfe deshalb keine allzu hohe Bedeutung, der Fokus liegt eher auf der im September startenden Olympiaqualifikation. „Olympia ist unsere Leistungsschau, da müssen wir dabei sein“, sagt der Coach. Dennoch hofft er darauf, dass neben seiner einzigen weiblichen Starterin Nadja Pries (24/Erlangen), die als Finalkandidatin gilt, möglichst viele der sechs männlichen Starter mindestens das Halbfinale erreichen. „Wenn so viele Menschen zuschauen, wollen wir uns optimal präsentieren“, sagt er. Auch, um nachzuweisen, dass sie viel mehr sind als nur das olympische Feigenblatt.