Essen. Bei den European Championships treten 4500 Athleten in sieben Sportarten an – und im ewigen Kampf gegen König Fußball.

Zwei Gastgeberstädte, sieben Europameisterschaften, elf Wettkampftage und ganz viel Optimismus: Am Donnerstag starten die ersten European Championships. Für die Sportler geht es um Gold, Silber und Bronze – und um den Versuch, ein Gegengewicht zur dominierenden Medienpräsenz des Fußballs zu schaffen.

Was sind eigentlich diese European Championships?

Eine Art Mini-Olympia mit immerhin 4500 Athleten und 188 Medaillen-Entscheidungen. In sieben Sportarten werden vom 2. bis zum 12. August Europameisterschaften ausgetragen. Die Leichtathleten ermitteln ihre Titelträger im Berliner Olympiastadion, Schwimmer, Kunstturner, Radsportler, Ruderer, Triathleten und Golfer treffen sich zu den Kontinentalmeisterschaften im schottischen Glasgow.

Welche Idee steckt dahinter?

In erster Linie das Bemühen um mehr Sponsoren und mehr mediale Aufmerksamkeit. Die Zuschauer – vor allem vor dem Fernseher – bekommen komprimiert mehrere Sportarten angeboten. So etwas gibt es schon mit den World Games (nicht-olympische Sportarten), auch die 2015 in Baku erstmals ausgetragenen European Games (teils Olympia-Qualifikation, teils Wettbewerb ohne die Top-Sportler) sind ein Vorläufer des neuen Formats. „Der Charakter der European Championships ist ein anderer“, sagt Dirk Schimmelpfennig, Leistungssportdirektor im Deutschen Olympischen Sportbund, dieser Zeitung. „Weil das ganze eben nicht an einem Ort mit einem gemeinsamen Sportlerdorf stattfindet.“

Welche Rolle spielt das Fernsehen?

„Große Verbände wie Leichtathletik, Turnen oder Schwimmen können sich in einem solchen komplexen Event deutlich besser präsentieren als mit einer einzelnen EM“, erklärt Schimmelpfennig angesichts eines Gesamtpotenzials von mehr als einer Milliarde TV-Zuschauern. Die Europäische Rundfunk-Union EBU forciert nun einen spannenden Versuch: Aus dem Wintersport wissen die Öffentlich-Rechtlichen um die Erfolge bei Einschaltquoten, wenn in Konferenzschaltungen von morgens bis abends von der Skipiste zur Biathlon-Loipe zur Bobbahn gewechselt wird. Aus Berlin und Glasgow werden nun mehr als 100 Stunden Live-Sport gesendet. Es geht teilweise schon morgens um 9 Uhr los, die längsten Sendezeiten haben ARD und ZDF an den beiden Wochenenden sowie abends bei den Finalwettbewerben der Leichtathleten eingeplant. „Die Möglichkeiten für so vielseitige Übertragungen hat man sonst nur bei Olympischen Spielen“, sagt ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky. Dazu gibt es im Internet bis zu drei Live-Streams.

Welche Möglichkeiten bietet das neue Format?

Henning Lambertz erkennt in der Doppel-Veranstaltung auch den Versuch, dem alles dominierenden Fußball medial zumindest ein bisschen Paroli zu bieten. „Ich glaube schon, dass viele versuchen, ein kleines Gegengewicht zu finden. Eine einzelne Sportart kriegt das natürlich nicht hin“, sagt der Bundestrainer der deutschen Schwimmer. „Aber in dem Verbund von vielen guten Sportarten ist es durchaus möglich, dass jemand die European Championships einschaltet und sagt: Ich verfolge leidenschaftlich gern Leichtathletik, aber die zehn Minuten Schwimmen, die zwischendurch vielleicht mal aufblitzen, schau‘ ich mir auch noch an. Und danach guck ich noch ein bisschen Turnen.“

Gibt es schon Pläne über Berlin und Glasgow hinaus?

Falls die Feuertaufe ein Erfolg wird, überlegt Dirk Schimmelpfennig, wollen andere Sommersportarten künftig womöglich mit einsteigen. Andererseits drohe die Gefahr, dass es irgendwann zu viele Sportarten werden könnten. Doch in welcher Richtung die Sache auch gehe – eines steht für den 56-Jährigen fest: „Bewähren sich die European Championships, könnte ich mir vorstellen, dass unsere Spitzenverbände auf die Idee kommen, dass diese Veranstaltung 2022 oder später wieder etwas für Deutschland sein könnte.“ In Berlin ist bereits im kommenden Jahr ein Nachahmer vorgesehen: Am 3. und 4. August werden gleichzeitig zehn Deutsche Meisterschaften ausgetragen.

Wie reagieren die Verbände – und vor allem: die Sportler?

Das Internationale Olympische Komitee hält sich vornehm bedeckt – wird die Entwicklung der European Championships aber verfolgen. Bei den Sportlern indes ist die Vorfreude gigantisch: „Das Kribbeln ist wahnsinnig groß“, gesteht Deutschlands schnellste Frau, die Soesterin Gina Lückenkemper. Auch Schwimmer Philip Heintz findet an den „Olympischen Spielen im Miniaturformat“ Gefallen: „Ich bin ein voller Fan davon.“ Der Olympia-Sechste von Rio über 200 Meter Lagen hat beim Höhentrainingslager in der spanischen Sierra Nevada die deutschen Bahnradfahrer kennengelernt, die ebenfalls in Glasgow starten werden. „Wenn ich dann Zeit habe, schaue ich auf jeden Fall bei ihnen vorbei und feuere sie an.“ Halt wirklich wie bei Olympia.