Essen. In einem Interview blickt der Box-Star offen auf schwierige Karrieremomente zurück und sagt: „Ich war der Loser der Klitschko-Brüder.“

15 Monate ist es her, dass Wladimir Klitschko im Londoner Wembleystadion seinen letzten Boxkampf bestritten hat. Es war sein 69. Profifight, es war seine fünfte Niederlage. Dreimal hatte der britische Weltmeister Anthony Joshua den Ukrainer niedergeschlagen, ehe der Ringrichter das an diesem Abend ungleiche Duell abbrach. 15 Monate nach diesem schmerzhaften Ende einer großartigen Box-Karriere hat sich der 42-jährige Klitschko zu Wort gemeldet.

Der jüngere der beiden Klitschko-Brüder reflektiert in einem Interview mit dem Internetportal t-online.de über seinen Aufstieg vom Amateurboxer in der Ukraine zum erfolgreichsten Profiboxer der Welt. Der promovierte Sportwissenschaftler überrascht mit dem Geständnis, dass ihn keinesfalls Leidenschaft beim Boxen angetrieben hat, sondern der Sport nur Mittel zum Zweck gewesen sei. „Ich bin kein geborener Boxer“, sagte Klitschko bei t-online.de. „Ich bin das einfach geworden. Ich wollte reisen. Sport war für mich ein Werkzeug. Ich habe das Boxen nicht leidenschaftlich geliebt.“

Mit 14 Jahren hatte Klitschko in der Ukraine, damals ein Teil der Sowjetunion, mit dem Boxen begonnen. Er habe sich wie in einem Käfig gefühlt, sagt Klitschko. Reisen durften damals nur Politiker oder Sportler. Für einen Politiker sei er zu jung gewesen, also sei er Boxer geworden. So wie sein älterer Bruder Vitali. „Mein Bruder war schon durch das Kickboxen viel gereist und ich habe erkannt: der Sport, das Boxen, ist mein Weg, diesen Käfig zu verlassen.“ Er habe die Welt entdecken wollen. Als Beispiele seiner Wünsche nennt der Olympiasieger von 1996 Bananen essen, Palmen, Strände, Ozeane sehen.

Für Wladimir Klistchko war Boxen Mittel zum Zweck

Wladimir Klitschko war nie der Boxer-Typ des Straßenkämpfers. Klitschko ist ein Kopfmensch. Boxen war Mittel zum Zweck. Und so ist er auch eher akademisch an den Sport heran gegangen. Klitschko benutzt den Vergleich mit einem Schauspieler. „Mal ist es mehr die Schnelligkeit, mal mehr die Ausdauer, die Schwachpunkte bei einem Gegner sind“, sagt Klitschko. „Das gilt es auszuloten und sich in die Rolle und die Eigenschaften desjenigen zu begeben, der diese Schwachpunkte nutzen kann. Danach dauert es eine Weile, sich von dieser Person oder diesen Eigenschaften zu distanzieren, sich klar zu machen: das bist nicht du, das war notwendig für diesen Kampf.“

In 64 von 69 seiner Kämpfe hat Klitschko mit einer solchen Analyse seiner Gegner Erfolg gehabt. Im Jahr 2004 stand seine Karriere allerdings auf der Kippe. Eine bittere Zeit für den bis dahin vom Erfolg verwöhnten Boxer. Hart hatte er gearbeitet, um 1996 in Atlanta Olympiasieger zu werden und danach beim Hamburger Universum-Boxstall gemeinsam mit seinem Bruder die Welt des Profiboxens zu erobern. Weltmeister. Millionen-Verträge. Riesiges Zuschauerinteresse. Und dann plötzlich der ebenso abrupte wie überraschende.

Superstar kroch gegen Lamon Brewster auf dem Ringboden

„Ich hatte damals ein Riesen-Ego“, gibt Klitschko zu. „Bis ich 2003 überraschend gegen Corrie Sanders verloren hatte und meinen Titel verloren hatte.“ Aber es sollte noch schlimmer kommen. Auch das Duell mit Lamon Brewster verlor Klitschko auf schmerzliche Weise. Der Superstar kroch auf dem Ringboden. Er sei damals am Boden zerstört gewesen, gibt Klitschko jetzt zu. „Ich war der Loser der Klitschko-Brüder. Die Zeiten waren brutal schwer. Mein eigener Bruder sagte mir: Du musst mit dem Sport aufhören.“ Noch drastischer fielen die Worte seines Bruders Vitali aus, nachdem Wladimir den nächsten Fight gegen DaVarryl Williamson zwar gewonnen hatte, doch eine Wunde in seinem Gesicht mit 40 Stichen genäht werden musste. „Danach kam mein Bruder zu mir und meinte: Du musst aufhören. Du bist fertig. Schau dir dein Gesicht an!“

Wladimir Klitschko hörte nicht auf, obwohl er plötzlich alles andere als gut im Geschäft war. Er wollte beweisen, dass er es besser könne. Mit Hilfe seines Managers Bernd Bönte und seines Trainers Emanuel Steward schaffte Klitschko den Weg zurück an die Spitze. „Emanuel hat mir die Liebe zum Sport vermittelt, weil er mir zeigte, dass es im Boxen um mehr geht als nur um Draufhauen“, sagt Klitschko im Interview. „Jetzt liebe ich den Sport!“

Die Zeit ohne das Boxen habe er unterschätzt, gesteht Klitschko: „Ich habe gedacht: Wenn ich mit dem Sport fertig bin, werde ich mehr Freizeit haben. Genau das Gegenteil ist der Fall.“ Auch mit 42 Jahren trainiert er noch jeden Tag. Gibt es womöglich ein Comeback? „Wenn ich in den Ring zurückkomme, dann nur für einen wohltätigen Zweck“, sagt Wladimir Klitschko, der intelligent genug sein wird, kein ernsthaftes Comeback zu starten. Sein Erfolgsrezept war schließlich immer, dass er zwar Fehler beging, doch stets aus ihnen lernte.