Carcassonne. Zwei Stars, ein Team. Froome und Thomas streiten um Gelb. Ein Vergleich der britischen Stars vor dem Höhepunkt in den Pyrenäen.

Geraint Thomas hatte die Nase vorn. Nicht viel, aber doch ein Stück. Auf dem Stuhl vor einem englischen Reporter saß der 32-Jährige ein paar Zentimeter vor seinem Sky-Kapitän Chris Froome.

Eine Momentaufnahme am Ruhetag, ein treffendes Bild für die diesjährige Tour de France: Der Waliser führt vor der entscheidenden Woche in den Pyrenäen vor dem viermaligen Champion. Alles nur Taktik, um den eigentlichen Kapitän zu schonen? „Das ist zumindest nicht mein Plan“, erwiderte Froome lächelnd. Er wäre sogar bereit, zugunsten seines Teamkollegens auf den Sieg zu verzichten: „Solange ein Sky-Fahrer am kommenden Sonntag in Paris ganz oben steht, bin ich happy“, sagte Froome am Montag vor 200 Journalisten. Wir vergleichen die beiden.

Das fahrerische Können

Unbestritten liegt hier Chris Froome vorn. Thomas bezeichnet ihn als „vielleicht den besten Fahrer aller Zeiten“. Zumindest ist der in Nairobi geborene Brite einer der außergewöhnlichsten. Vier Tour-Siege hat der Brite bereits, mit einem fünften schließt er zu Radsportlegenden wie Eddy Merckx und Miguel Indurain auf. Triumphiert Froome in Paris hätte er vier GrandTours – 2017 Tour, Vuelta und 2018 Giro, Tour - in Folge gewonnen. Das wäre einzigartig.

Mit einem perfekt organisierten Team sind seine Leistungen allein nicht zu erklären. Der Brite verfügt über außergewöhnliche körperliche Eigenschaften. Äußerlich wirkt Froome wie eine Gottesanbeterin, bei 1,86 Meter nur 69 Kilo schwer und mit einem BMI von 19,9 knapp untergewichtig. Im Innern verbirgt sich ein Lungenvolumen von fast acht Litern und ein Antrieb, der Kritiker auf den Plan ruftt. „Seine Leistungen sind physiologisch nicht erklärbar“, sagte einst der französische Sportwissenschaftler Antoine Vayer.

Thomas (1,83, 71 Kg) fuhr bei der Tour nie in die Top Ten, holte aber in der Mannschaftsverfolgung zweimal Olympiagold. Was in ihm steckt, wurde auf der zwölften Etappe sichtbar. Nach dem 13,8 Kilometer langen Anstieg nach Alpe d’Huez fuhr er Mitkonkurrent Tom Dumoulin einfach davon. Einige verglichen diesen Sprint mit dem eines gewissen Eddy Merckx.

Die Beliebtheit

Das britische Team hat zwar seit 2012 fünf Tour-Siege geholt, ist aber alles andere als beliebt. Die ominöse Medikamenten-Lieferung an Bradley Wiggins 2011, die Untersuchungen des britischen Parlaments wegen der medizinischen Ausnahmegenehmigungen und jetzt die Salbutamol-Affäre um Froome – Sky wirkt undurchsichtig, zu perfekt. Seit Beginn der Tour wird Froome ausgepfiffen und angefeindet. Die Abneigung überträgt sich auch auf Geraint Thomas. Allerdings wird spekuliert, dass Thomas auf der Insel beliebter ist. Der schüchterne Waliser wirkt auf der großen Bühne sehr sympathisch. Nie vergreift er sich im Ton, immer ist er demütig und wiederholt kassettenartig, das Froome der Leader sei und er nur „von Tag zu Tag“ denke. Würde er gewinnen, wären die französischen Fans zumindest nicht ganz so angefressen.

Die Chancen

Geraint Thomas führt mit 99 Sekunden vor Froome und mit nochmals elf auf den Dritten Tom Dumoulin (27). Der niederländische Sunweb-Kapitän hat auch dank seiner deutschen Helfer Nikias Arndt und Simon Geschke bislang ein starkes Rennen gefahren. Wie Froome hat der Zeitfahrweltmeister den Giro d’Italia in den Knochen, bei dem er Zweiter hinter dem Briten wurde. Auch Froome muss diese Doppelbelastung wegstecken. Allerdings lieferte er beim Giro einen Beleg für seine Unberechenbarkeit: Zwei Wochen fuhr Froome verhalten mit, dann setzte er zu einem 80-Kilometer-Solo an und gewann. Wenn einem dieses Kunststück noch einmal zuzutrauen ist, dann Froome.