La Rosière/Alpe d’Huez. Nach dem Aus bei der Tour de France geht es für Marcel Kittel zurück in die Schweiz. Den deutschen Rad-Star beschäftigen einige Fragen.

Torsten Schmidt hatte es im Teamhotel in Chartres treffend formuliert. Marcel Kittels Situation sei wie ein Elfmeterschießen. „Du hast noch zwei Versuche, einer musste sitzen“, sagte der sportliche Leiter von Katusha-Alpecin. Den einen vergab der deutsche Sprinter einen Tag später in Amiens, zum anderen wird es gar nicht mehr kommen. „Ich bin schon sehr enttäuscht“, sagte der deutsche Topsprinter in der ARD, nachdem er das Zeitlimit in La Rosière verpasst hatte. „Ich kann mir kein Bein ausreißen und ein bisschen weniger wiegen.“

Am Donnerstagmorgen trat der 30-jährige Arnstädter von Genf aus die Heimreise an. Er werde sich jetzt etwas erholen, schrieb er auf Instagram, und neue Ziele ins Auge fassen. Am 23. August will er bei der Deutschland-Tour starten. Vor allem aber wird er nachdenken müssen über das Tour-Debakel und sein Verhältnis zur Teamleitung.

Zweite Alpenetappe war "ein Hammer"

Die 108,5 Kilometer lange zweite Alpenetappe am Mittwoch sei „ein Hammer“ gewesen, betonte Kittel. „Selbst wenn ich zehn Prozent Extra-Form draufpacke, weiß ich nicht, wie ich so eine Etappe überstehen soll.“ Auch Ex-Weltmeister Mark Cavendish und Mark Renshaw (beide Dimension Data) scheiterten am Zeitlimit. Mit Kittels Teamkollegen Rick Zabel zeigte sich die Jury gnädig, obwohl auch er zu spät ins Ziel kam. „Die letzten Jahre hatten wir so eine Etappe nicht“, befand Kittel. „Es gibt für alles ein erstes Mal. Jetzt habe ich das erste Mal ein Zeitlimit nicht geschafft.“

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Kittel erlebte auch in anderer Hinsicht eine Premiere. Vor der achten Etappe in Amiens hatte sein sportlicher Leiter Dimitri Konischew ihn öffentlich bloßgestellt. In der L’Equipe beschwerte sich der Russe, der Thüringer interessiere sich nur für sich. In Erinnerung sei ihm eine Teamsitzung vor dem Mannschaftszeitfahren in Cholet geblieben, wo sich Kittel mehr für sein Handy interessiert haben soll.

Sein Anfahrer Zabel versuchte am Ruhetag, den Zoff zu beschwichtigen: „Wir haben uns als Mannschaft zusammengerauft. Für uns ist das Thema abgehakt“. Aber Kittel dürfte der verbale Angriff weitaus mehr zu schaffen gemacht haben. „Viele unterschätzen eine Komponente“, sagte sein Manager Jörg Werner in einem ARD-Interview, „das ist die Psyche“. Der vierzehnfache Etappensieger sei einer, „der sehr viel über den Kopf kommt, über die Motivation“.

Hinter den Erwartungen geblieben

Sportlich konnte Kittel in diesem Jahr wenig überzeugen. Fünf Etappensiege im Vorjahr hatte der Sonnyboy für Quick-Step geholt und damit einen neuen deutschen Rekord aufgestellt. Mit seinem neuen Team fuhr Kittel den Erwartungen hinterher, gewann in diesem Jahr lediglich zwei Etappen bei Tirreno-Adriatico. In der ersten Tour-Woche erreichte Kittel Rang drei und fünf. Eine maue Bilanz, die es für einen schweren Sprinter wie ihn ohnehin schwer macht, über die Alpen zu kommen. Die öffentliche Kritik Konischews könnte da durchaus ausschlaggebend für das Tour-Aus gewesen sein.

„Man kritisiert nicht seinen Leader auf so eine Art und Weise, das ist einfach dumm“, sagte Werner. Oder Absicht. Konischew sagte selbst, er habe sich Kittel „nicht ausgesucht“. Und auch Werner befürchtet, dass der sportliche Leiter damit etwas bezwecken wollte. Der deutsche Leiter Schmidt steht hinter Kittel: „Marcel hat es letztes Jahr geschafft, er wird es auch in Zukunft wieder schaffen“, sagte der gebürtige Schwelmer. Aber wie soll man zum Elfmeter antreten, wenn einer der beiden sportlichen Leiter dem Schützen misstraut? Eine Frage, über die Marcel Kittel in seiner Heimat Schweiz nachdenken muss. Zeit dafür hat er nun.