London. Angelique Kerber und Julia Görges stehen im Wimbledon-Halbfinale. Der erste deutsche Erfolg seit Steffi Graf ist zum Greifen nah.

Die deutsche Tennis-Geschichte ist um ein historisches Kapitel reicher, der Traum vom deutschen Wimbledon-Endspiel lebt: Angelique Kerber und Julia Görges haben beim Rasen-Klassiker in London als erstes deutsches Frauen-Duo seit 87 Jahren das Halbfinale erreicht und dürfen weiter auf ein direktes Duell um den Grand-Slam-Titel hoffen. Der erste deutsche Wimbledon-Sieg nach Steffi Grafs letztem Titelgewinn 1996 ist zum Greifen nah.

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Nachdem Kerber am Dienstag ihr am Ende packendes Viertelfinal-Duell mit der Russin Daria Kassatkina 6:3, 7:5 gewonnen hatte, zog Görges durch ein 3:6, 7:5, 6:1 gegen Kiki Bertens (Niederlande) nach. Zwei deutsche Halbfinalistinnen bei einem Grand-Slam-Turnier hatte es in der 50-jährigen Geschichte des Profitennis nur 1990 bei den Australian Open und 1993 bei den French Open gegeben. In Wimbledon war dies in 134 Jahren nur 1931 der Fall, als Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel sogar das Endspiel bestritten. Nun könnte sich die Geschichte wiederholen.

Rittner: "Bin stolz auf die Mädels"

"Das ist unglaublich geil! Am Donnerstag wird es ein großartiger Tag für das deutsche Tennis. Ich bin stolz auf die Mädels. Alleine die Aussicht auf ein deutsches Finale ist großartig", sagte Barbara Rittner, Head of Women's Tennis im DTB: "Jetzt ist alles möglich."

Nachdem sie eineinhalb Stunden von der linken in die rechte Ecke des Platzes gehetzt war, stand Kerber im Moment des Erfolgs gegen Kassatkina wie festgefroren da. Die Kielerin genoss nach einer furiosen Energieleistung still den Augenblick, ehe sie einen gellenden Freudenschrei losließ. "Ich habe versucht, das Match in meine Hände zu nehmen und mich an mein Limit zu pushen", sagte sie: "Es war ein Spiel auf hohem Niveau."

Rund eineinhalb Stunden später schlug Görges nach ihrem verwandelten Matchball die Hände vors Gesicht und atmete sichtlich bewegt durch. "Es ist unglaublich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll", erklärte sie: "Ich habe versucht, ruhig zu bleiben und um jeden Punkt gekämpft."

Duell mit Serena Williams

Am Donnerstag bekommt es Görges nun mit Superstar Serena Williams (Nr. 25) zu tun, die trotz ihres ersten Satzverlustes im Turnierverlauf die Italienerin Camila Giorgi 3:6, 6:3, 6:4 bezwang. Bei den French Open hatte Görges gegen die US-Amerikanerin in Runde drei deutlich verloren. Görges will die Gelegenheit beim Schopfe packen: "Jedes Spiel beginnt bei Null."

Die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Kerber spielt gegen Jelena Ostapenko (Lettland/Nr. 12) um den Einzug in ihr zweites Wimbledon-Endspiel nach 2016. "Es ist egal, wer die Gegnerin ist. Jede, die im Halbfinale steht, hat das verdient", sagte sie: "Ich sehe mich nicht als eine Favoritin."

Kerber hatte gegen Kassatkina furios begonnen. Mutig, variantenreich und vor allem nahezu ohne Fehler diktierte die Kielerin auf dem nicht ganz vollbesetzten Centre Court das Geschehen. Bis zum Ende des ersten Satzes unterliefen ihr nur zwei sogenannte "Unforced Errors" - gegenüber derer 13 bei Kassatkina.

Kerber vergibt erst sechs Matchbälle

Auch im zweiten Durchgang zahlte sich Kerbers geduldige Defensiv-Leistung mit Attacken in den entscheidenden Momenten voll aus. Erst in der nervenaufreibenden Schlussphase hatte auch sie einige Probleme, vergab ihre ersten sechs Matchbälle - und durfte am Ende doch jubeln.

Görges hatte derweil gegen Bertens, mit der sie gut befreundet ist und regelmäßig im Doppel an den Start geht, in einem ausgeglichenen ersten Satz als erste bei ihrem Aufschlag gewackelt. Das Break zum 3:5 entschied letztlich den Durchgang. Im zweiten Satz biss sich Görges zurück ins Match, ging im Entscheidungsdurchgang schließlich schnell mit 4:1 in Führung und bewies am Ende wie Kerber Nervenstärke (sid).