Sankt Petersburg. Zlatko Dalic ist einer der unscheinbarsten Trainer bei der WM. Dabei hätte der Chef der kroatischen Elf mehr Aufmerksamkeit verdient.

Allein auf der Bank, den Kopf nach unten, der ganze Mann scheinbar vergraben unter seinem dichten schwarzen Haar: so kennt die Welt den kroatischen Trainer Zlatko Dalic nach zwei nervenaufreibenden Elfmeterschießen bei dieser WM. Und sonst? Geht es um Luka Modric und Ivan Rakitic, vielleicht noch um Subasic, Kramaric und Rebic, um Grüße an die Ukraine und nationalistische Lieder, um Korruption im Verband und dubiose Transfers, um die Erinnerung an 1998 und eine enthusiastische Fan-Präsidentin. Nur um Zlatko Dalic geht es eigentlich nie.

Dabei werden die Trainer im heutigen Spiel doch mehr denn je zu Überfiguren stilisiert, sie sind Feldherrn, Logistiker, Theaterdirektoren, manchmal sogar Messias. Gareth Southgate, Coach von Kroatiens Halbfinalgegner England, ist insofern ein gutes Beispiel, sogar seine Weste wird in seiner Heimat schon als Ausweis menschlichen Genies gefeiert. Dalic? Fehlt für so etwas wohl die Biographie. Der 51-Jährige war nie Nationalspieler und kickte nur bei jugoslawischen Klubs. Danach trainierte er Mittelklassevereine in der kroatischen Liga sowie in Albanien und am Persischen Golf. Der Mann mit den tiefen Augenhöhlen und dem melancholischen Blick ist der größte Unbekannte, der seit langem ein WM-Halbfinale erreichte.

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Als Verbandspräsident Davor Suker vergangenen Oktober mit ihm um die Ecke kam, staunten sie sogar in der Heimat. Es war ein kühnes, fast wahnsinniges Manöver, denn für Kroatien würde es 48 Stunden später um die WM-Teilnahme gehen. Die hochbegabte Mannschaft hatte gerade 1:1 gegen Finnland gespielt, was nach Niederlagen gegen Island und die Türkei endgültig zu einer „katastrophalen Situation“ (Modric) geführt hatte. Das Team war zerstritten, Coach Ante Cacic erledigt, in der Ukraine ging es nur noch um die Playoff-Teilnahme. „Scheitern ist keine Option“, sagte Dalic bei seiner Präsentation. „Ich will keinen Vertrag, der mir das Recht gibt, die Hände in die Tasche zu stecken. Wenn wir nicht nach Russland fahren, bin ich sofort wieder weg.“

Er hätte also als Zwei-Tage-Trainer in die Geschichte eingehen können. Doch Kroatien gewann in der Ukraine, 2:0. Es fertigte im Playoff die Griechen 4:1 ab. Und steht jetzt im Halbfinale der WM, bei der es sich als versiert gecoachte Mannschaft präsentiert. Die Karriere im kleineren Fußball hat das Auge für innovative Lösungen geschärft. „Er hat neue Ideen gebracht, das brauchten wir“, sagt Ivan Perisic. Zu diesen zählt unter anderem eine variable Rolle für Modric, den Dalic oft auf die Zehner-Position aus dessen Jugendtagen vorzieht und der die neuen Freiheiten mit einem überragenden Turnier dankt. Es gibt neben den bekannten Gründen halt doch noch einen weiteren für Kroatiens Erfolg, wie Sime Vrsaljko sagt: „Wir haben einen sehr guten Trainer.“

Meisterwerk gegen Argentinien

Dalics Meisterwerk war wohl der Sieg gegen Argentinien, als Lionel Messi auf intelligente Weise annulliert wurde – im Verbund stellten die Kroaten alle Passlinien auf den Superstar zu, sie mussten so nicht mal einen Spieler zur Sonderbewachung opfern, wie man das bei anderen Mannschaften oft sieht. „Genauso hatte es der Mister geplant“, feixte Rakitic danach. Wo sonst schon kaum einer nach Dalic fragt, weisen die Spieler eben manchmal von sich aus auf ihn hin. Auch solche Details zeigen, wie sehr Trainer und ein Team in der kurzen Zeit zusammengefunden haben. „Die Mannschaft brauchte nur einen kleinen Schubser in die richtige Richtung“, erklärte Dalic vor Turnierbeginn: „Der Schlüssel ist, dass es zwischen mir und den Spielern geklickt hat.“

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Als ruhig und klar beschreiben die Profis seinen Führungsstil. Dalic kann es laufen lassen wie nach dem historischen Halbfinaleinzug, als er selbst Bilder in den sozialen Netzwerken postete, wie die Spieler nachts im Teamhotel auf den Tischen tanzten. Aber er sendet gegebenenfalls auch klare Autoritätszeichen. Nach dem Auftaktspiel gegen Nigeria schickte er den Stürmer Nikola Kalinic nach Hause, weil der sich zum wiederholten Male einer späten Einwechslung versagt hatte, angeblich wegen Rückenschmerzen. „Ich brauche Spieler, die gesund und bereit sind“, argumentierte er.

Gutes Benehmen zählt für den tiefgläubigen Katholiken, der immer einen Rosenkranz in der Hosentasche trägt, den er in schweren Momenten fest umklammert. Nach dem Sieg gegen Argentinien wunderte er sich darüber, wie sein Gegenüber Jorge Sampaoli ohne Handschlag in die Kabine flüchtete. „Dabei habe ich ihm vor dem Spiel einen kroatischen Trikotsatz geschenkt. Jetzt wird er es hoffentlich immer in Erinnerung behalten.“ Das Trikot und vielleicht auch ihn selbst, Zlatko Dalic, die Entdeckung dieser WM.