Noirmoutier. Vier deutsche Fahrer hoffen bei der Tour de France auf einen Teilerfolg. Marcel Kittel greift am Samstag auch das Gelbe Trikot an.

Der wichtigste Mann sprach mit so leiser Stimme, dass ihn die Reporter kaum verstehen konnten. Vielleicht war es der Umstand, dass die Fragen zunächst auf Englisch gestellt wurden. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die Worte von Marcel Kittel Gewicht bekommen, sobald er sie ausspricht. Der 30-Jährige ist nach seiner Sensations-Tour im Vorjahr mit fünf Etappensiegen die deutsche Hoffnung. Er selbst bleibt verhalten. „Ich bin nicht Topfavorit bei den Sprints“, sagt Kittel vor dem Start der 105. Tour de France am Samstag (10.50 Uhr/Eurosport1; 13 Uhr/ARD). „Aber mein Ziel ist, die erste Etappe zu gewinnen und das Gelbe Trikot zu holen.“

Marcel Kittel

Kittel faltete die Hände zusammen, schaute mit festem Blick in die größtenteils deutsche Reportermenge. Der 30-Jährige wusste, er musste jetzt Siegeswillen ausstrahlen. „Ich fühle mich selbstbewusst“, sagte er, um Zweifel auszuräumen. Denn vieles wurde geschrieben über seine Form. Hinter Kittel liegt kein leichtes Jahr. Nach seinem Teamwechsel von Quick-Step zu Katusha-Alpecin lief nicht gleich alles rund. An der Kommunikation dürfte es nicht gelegen haben, das Schweizer Team stellt dem Kapitän mit Nils Politt, Rick Zabel und Tony Martin gleich drei deutsche Helfer zur Seite. Doch der finale Auftritt bei der Deutschen Meisterschaft im hessischen Einhausen fiel ernüchternd aus – nur Platz zehn. „Ich würde lügen, wenn ich sage, dass dies nicht in meinem Kopf ist“, sagte der Thüringer.

Der eine Etappensieg, Kittels Minimalziel, könnte dabei schon auf dem Premierenteilstück von Noirmoutier-en-L’Ile an der Atlantikküste nach Fontenay-le-Comte fallen. Deutschlands Top-Sprinter hat sich die 201 Kilometer lange Strecke mit einem Anstieg kurz vor dem Ziel bereits angesehen.

Tony Martin

Ein Moment, den theoretisch auch Teamkollege Tony Martin erleben könnte. Der 33-Jährige saß nach der Pressekonferenz auf einem Stuhl, die geaderten Radfahrer-Beine in der kurzen Hose strotzten vor Kraft. Dass diese muskulösen Kolben einen Tour-Etappensieg herausfuhren, liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Der siebenmalige Zeitfahr-Weltmeister aus Cottbus ist aber nicht angetreten, um seinen Tour-Erfolgen einen sechsten hinzuzufügen. „Ich hoffe, dass ich Marcel zu einem Etappensieg verhelfen kann“, sagte Martin über seine Rolle im Team. Er gibt mit seiner Routine den Takt vor, den Sieg soll ein anderer holen. Doch eine Etappe hat auch Martin im Blick: das Abschluss-Zeitfahren auf der 20. Etappe. „Darauf freue ich mich.“

André Greipel

Das Feld der deutschen Hoffnungsträger ist in diesem Jahr schon deswegen geschmolzen, weil fünf Fahrer weniger als 2017 am Start sind. Elf Deutsche begeben sich auf die 3351 Kilometer lange Rundfahrt nach Paris. Neben Kittel sind das vor allem Routinier André Greipel und Joker John Degenkolb. Der gebürtige Rostocker Greipel wird bald 36, sein Vertrag bei Lotto Soudal läuft demnächst aus. Für den elfmaligen Etappensieger ist die Tour daher eine gute Chance, sich zu zeigen – und vielleicht an seine alten Erfolge anzuschließen. Den Schlüsselbeinbruch, den er im März erlitten hatte, konnte er inzwischen auskurieren. „Ich hatte eine schwierige Saison nach dem Unfall“, erklärte Greipel. Danach konnte er je zwei Etappensiege bei „4 Jours de Dunkerque“ in Frankreich und bei der Belgien-Tour gewinnen. Greipel gibt sich kämpferisch: „Ich denke nicht über Gelb nach, ich denke an Etappensiege – je früher, desto besser.“

John Degenkolb

Auf diese muss John Degenkolb noch immer warten. Der 29-Jährige hat zwar die Klassiker Mailand – Sanremo und Paris – Roubaix 2015 gewonnen, aber noch keine Etappe bei der Tour. „Es wäre schön, wenn ich direkt am Anfang etwas abschießen würde“, sagte der gebürtige Geraer. Die erste und die zweite Etappe am Sonntag von Mouilleron-Saint-Germain nach La Roche-sur-Yon hat er bereits ausgekundschaftet, „aber es ist nicht so, dass man sich etwas aussuchen kann bei der Tour. Du fährst von Tag zu Tag.“ Alle, die hier am Start sind, seien „zu 99 Prozent fit“. Auch er, der zuletzt an einer Schleimbeutelverletzung laborierte und bei der DM Zweiter wurde. Das Grüne Trikot sei kein Thema für ihn, „mir wäre es lieber, ich gewinne eine Etappe“.

Degenkolb strahlte kurz vor dem Start des härtesten Radrennens der Welt im Teamhotel in Les Herbiers Ruhe aus. Es ist die Ruhe vor dem dreiwöchigen Sturm. Ein deutscher Sieg hier in Frankreich hat eine enorme Strahlkraft, weiß Degenkolb. Der Sieg von Simon Geschke (Sunweb) 2015 habe den Berliner „in Frankreich unsterblich gemacht und in Deutschland seine Popularität verfünffacht“. Vielleicht ist jetzt die Zeit für Degenkolb gekommen, Ähnliches zu erreichen.