London. Deutschlands Top-Tennisspielerin Angelique Kerber hat in Wimbledon nach anfänglichen Mühen souverän die zweite Runde erreicht.

Das Hamsterrad des Leistungssports ist unerbittlich, es erlaubt keine Pausen, wenn man vorankommen will. Erfolgreiche Athleten wissen, dass wenig so alt ist wie der Erfolg von gestern. Und dennoch gönnt Angelique Kerber sich bisweilen die Retro-spektive; ganz besonders, wenn sie in Wimbledon ist. Diesem Ort, dem so viele Tennisspieler eine Magie bescheinigen, die kein anderes Turnier auf der Welt ausstrahlt. „Auch für mich ist es immer wieder aufs Neue aufregend, hier zu spielen“, sagte die 30-Jährige nach ihrem 7:5, 6:3-Auftaktsieg am Dienstag gegen die Russin Wera Zwonarewa. „Ich bin jedes Mal nervös, weil ich dieses besondere Etwas spüre. Aber ohne diesen Stress wäre Wimbledon auch nicht das, was es ausmacht.“

Schaut die Weltranglistenzehnte zurück, landet sie schnell im Jahr 2016. Nicht nur, weil es die beste Saison ihrer Karriere war, in der sie die Australian und die US Open gewann und die Spitze der Weltrangliste erklomm. Sondern auch, weil sie an der Church Road erstmals im Endspiel stand. Und auch wenn sie es gegen US-Topstar Serena Williams (36) verlor, verursachen die Erinnerungen daran keinerlei Schmerzen. „Es war ein großes Match, das nicht ich verloren habe, sondern das sie gewonnen hat. Für mich war das eine sehr wichtige Erfahrung, die ich nicht missen möchte“, sagte sie.

Nun, nach einer verpatzten Saison 2017 inklusive Wimbledon-Achtelfinalaus gegen die spätere Siegerin Garbine Muguruza aus Spanien, ist die Kielerin bereit für einen neuen Anlauf. In den britischen Medien wird sie als „Dark Horse“ bezeichnet, als die Geheimfavoritin, auf die es besonders zu achten gilt auf der Straße zum Ruhm. Kerber weiß um ihre hervorgehobene Stellung, aus der Ruhe bringen lassen will sie sich davon nicht. „Ich habe eine gute Vorbereitung hinter mir, fühle mich in Form. Aber es gibt viele, die man zum Favoritenkreis rechnen kann“, sagte sie. Die Halbfinalniederlage bei der Generalprobe in Eastbourne gegen die Dänin Caroline Wozniacki sei eine gute Standortbestimmung für sie gewesen. „Ich weiß, dass ich mithalten kann, aber auch, dass ich meine Topleistung bringen muss, wenn ich hier etwas erreichen will.“

Steigerung von Kerber nötig

Nachdem zum Auftakt ein durchwachsener Auftritt zum souveränen Sieg reichte, dürfte schon in Runde zwei eine Steigerung notwendig sein. An diesem Donnerstag wartet dort mit der erst 18 Jahre alten US-Amerikanerin Claire Liu die Gewinnerin des Juniorinnenturniers 2017. Zwar sollten Kerbers Klasse und Erfahrung ausreichen, um das aufstrebende Talent beim Übergang vom Junioren- in den Erwachsenenzirkel aufhalten zu können. „Aber man darf niemanden unterschätzen. Ich kenne sie nicht, werde mit meinem Team Videos studieren. Generell will ich aber mein Spiel durchziehen und mich nicht nach der Gegnerin richten“, sagte sie.

Die Zusammenarbeit mit ihrem belgischen Chefcoach Wim Fissette (38), der nach dem Ende der Saison 2017 Kerbers langjährigen Vertrauten Torben Beltz (41) abgelöst hatte, sei noch immer in der Findungsphase. „Wir lernen uns immer besser kennen, er weiß mittlerweile, was ich spielen will, und ich weiß, wie er mich dorthin führen will“, sagte sie. Die Innigkeit, die ihre Beziehung zu Beltz nach außen abgestrahlt hatte, fehle ihr im Umgang mit Fissette überhaupt nicht. „Man muss Privates und Berufliches trennen, das haben Torben und ich auch gemacht, auch wenn es vielleicht nicht immer so aussah. Wir haben einen Job zu erledigen, und das tun wir. Ich bin überzeugt, dass wir uns auf einem sehr positiven Weg befinden“, sagte sie.

Die Magie von Wimbledon, hofft Kerber, wird sie beflügeln. Das Hamsterrad dreht sich weiter, und sie hat keine Lust, frühzeitig auszusteigen.