Essen. Bundestrainer Joachim Löw muss entscheiden: Will er weitermachen oder nicht? Der DFB will will in dieser Woche Klarheit. Eine Analyse.

Es gibt so viele nette Cafés in Freiburg, sie heißen „Liebes Bisschen“, „Fabelhaft“, „Waldsee“, „Lago“ oder auch einfach „Schmidt“. Aber als sich Joachim Löw am Wochenende in seiner Heimat mit Freunden traf, setzte er sich mit ihnen auf die Terrasse des Cafés „Auszeit“. Vermutlich war dem Bundestrainer die Symbolik egal, er ist dort öfter zu Gast.

DFB-Bitte: Löw soll seine Entscheidung zeitnah treffen

In diesen Tagen muss er darüber entscheiden, ob aus der Auszeit, die er sich seit dem frühen K.o. bei der WM genommen hat, ein Abschied wird – oder ob er den Wunsch der DFB-Spitze erfüllt, die ihn darum bat, dass er seinen bis 2022 datierten Vertrag erfüllen möge. Einzige Forderung: Er solle seine Entscheidung zeitnah treffen und mitteilen.

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Dafür

Joachim Löw hat immer strategisch gearbeitet, das Resultat seiner Akribie war der Weltmeistertitel von 2014. Darüber, dass seine Pläne diesmal nicht aufgingen, wird sich niemand mehr ärgern als er selbst. Weil er auch am besten weiß, was bei der Führung des Teams in Russland alles schief lief, hätte er garantiert zügig Lösungsansätze parat.

Dagegen

Der zuvor glänzende Ruf des Bundestrainers ist schwer beschädigt. Dass er mit der deutschen Nationalmannschaft als Gruppenletzter ausschied, wird jetzt ebenso auf ewig zu seiner Vita zählen wie der WM-Triumph vor vier Jahren. Die frischen Eindrücke aber sind negativ. So ein Tiefschlag verursacht Schmerzen, die nicht in wenigen Wochen abklingen. Ab sofort hieße es selbst nach kleineren Rückschlägen oder bei fragwürdigen Maßnahmen: Der Löw! Hätte doch besser gehen sollen! Auf verbranntem Boden lässt sich das zarte Pflänzlein neuer Hoffnung nicht schnell züchten.

Dafür

Wenn die Nationalmannschaft früher enttäuschte, und als Enttäuschung galt schon ein Viertelfinal-Aus wie bei den Weltmeisterschaften 1994 und 1998, dann krachte es gewaltig. Spieler scheuten auch die offene Konfrontation mit dem Trainer nicht. Und diesmal? In sämtlichen Analysen der Spieler heißt es bisher: Wir haben die Pläne des Trainers nicht umgesetzt. „Allein wir Spieler haben das zu verantworten“, bekräftigte Kapitän Manuel Neuer. Es hätte schlimmer kommen können für Joachim Löw.

Dagegen

Dass erfahrene Profis wie Toni Kroos, Thomas Müller oder auch der vielkritisierte Mesut Özil kicken können, steht doch außer Frage. Dass sie in Russland scheiterten, hatte viel mit Mentalität zu tun. Testspiele misslungen? Wir sind die Weltmeister, wir kriegen das schon hin. Schlimm, das Löw da nicht regulierend einschritt. Er unterstützte diese Überheblichkeit sogar, indem auch er vor der WM beschwichtigend ankündigte: „Wenn es losgeht, werden wir da sein.“ Der lust- und ideenlose Auftritt lässt den Schluss zu, dass Löw diese Mannschaft nicht mehr motivieren konnte.

Dafür

Für die Zeit nach der WM hatte der Bundestrainer bereits vor der WM klare Vorstellungen. Löw hatte gehofft, dass die Weltmeister von 2014 die Mannschaft auch 2018 verlässlich durchs Turnier tragen würden. Eine Fehleinschätzung. Für die Zukunft hatte er aber längst andere Namen im Kopf. Er wolle auch „ein Entwickler sein“, sagte er im Interview mit dieser Zeitung. „Ich sehe junge Spieler wie Kimmich, Goretzka, Werner, Brandt und Sané und entwickele dann Visionen: Wo können oder müssen diese Spieler in vier, fünf Jahren sein? Was kann man dafür tun?“ Löw müsste nun nur noch die Kraft aufbringen, konsequent auf Jüngere zu setzen.

Dagegen

Seit dieser WM muss sich Löw die Frage gefallen lassen, warum er auf unvorhergesehene Situationen nicht angemessen reagiert hat. Die Mexikaner hatten die deutschen Schwächen vorher analysiert und dann ausgenutzt. Der Bundestrainer fand darauf keine Antwort. Nach dem Umzug nach Sotschi posierte er cool am Wasser, um Gelassenheit zu demonstrieren. Seine Aufstellungs-Rotation verriet das Gegenteil.

WM 2018: So trauern die deutschen Fans

Die deutsche Mannschaft ist aus der WM geflogen. Die Fans in Deutschland und Russland zeigen sich enttäuscht. Diese Drei schauten das Spiel am Brandenburger Tor.
Die deutsche Mannschaft ist aus der WM geflogen. Die Fans in Deutschland und Russland zeigen sich enttäuscht. Diese Drei schauten das Spiel am Brandenburger Tor. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Dass die Deutschen schon in der Vorrunde rausgeflogen sind, machte auch diesem Fan in der Kasan-Arena in Russland zu schaffen.
Dass die Deutschen schon in der Vorrunde rausgeflogen sind, machte auch diesem Fan in der Kasan-Arena in Russland zu schaffen. © dpa | Frank Augstein
Mit einer Niederlage gegen die Südkoreaner hatte diese junge Frau in Dortmund wohl nicht gerechnet.
Mit einer Niederlage gegen die Südkoreaner hatte diese junge Frau in Dortmund wohl nicht gerechnet. © Bongarts/Getty Images | Christof Koepsel
Ein trauriger Blick auf Leinwand: Die Gegentore konnten offenbar auch die Fans in Hamburg kaum fassen.
Ein trauriger Blick auf Leinwand: Die Gegentore konnten offenbar auch die Fans in Hamburg kaum fassen. © dpa | Ulrich Perrey
Nicht weniger angespannt waren die deutschen Zuschauer im Kasan-Stadion, in der die deutsche Elf gegen die Südkoreaner antrat.
Nicht weniger angespannt waren die deutschen Zuschauer im Kasan-Stadion, in der die deutsche Elf gegen die Südkoreaner antrat. © Getty Images, | Alexander Hassenstein
Nach dem zweiten Tor war jede Hoffnung verflogen.
Nach dem zweiten Tor war jede Hoffnung verflogen. © Getty Images | Laurence Griffiths
Vier Jahre nach dem Triumph von Rio ist nach nur zehn Turnier-Tagen das Unternehmen Titelverteidigung mit dem Tiefpunkt deutscher WM-Geschichte beendet.
Vier Jahre nach dem Triumph von Rio ist nach nur zehn Turnier-Tagen das Unternehmen Titelverteidigung mit dem Tiefpunkt deutscher WM-Geschichte beendet. © Bongarts/Getty Images | Cathrin Mueller
Noch ein trauernder Fan in Hamburg: Schon am Donnerstag um 11 Uhr deutscher Zeit geht es für die deutsche Mannschaft von Moskau im Sonderflieger nach Frankfurt.
Noch ein trauernder Fan in Hamburg: Schon am Donnerstag um 11 Uhr deutscher Zeit geht es für die deutsche Mannschaft von Moskau im Sonderflieger nach Frankfurt. © dpa | Ulrich Perrey
In der Heimat warten nicht nur enttäuschte Fans – sondern auch Fragen um die Zukunft von Weltmeistercoach Löw.
In der Heimat warten nicht nur enttäuschte Fans – sondern auch Fragen um die Zukunft von Weltmeistercoach Löw. © Getty Images, | Alexander Hassenstein
Besonders bitter für die Fans war, dass die Tore so spät fielen.
Besonders bitter für die Fans war, dass die Tore so spät fielen. © Getty Images, | Alexander Hassenstein
Youngg-won Kim (90.+2) und Hyeung-Min Son (90.+6) besiegelten die peinliche Niederlage mit ihren Treffern in der Nachspielzeit.
Youngg-won Kim (90.+2) und Hyeung-Min Son (90.+6) besiegelten die peinliche Niederlage mit ihren Treffern in der Nachspielzeit. © Getty Images, | Alexander Hassenstein
Traurige Gewissheit: Weil Schweden parallel gegen Mexiko mit 3:0 gewann, hätte nicht einmal eine Nullnummer gereicht.
Traurige Gewissheit: Weil Schweden parallel gegen Mexiko mit 3:0 gewann, hätte nicht einmal eine Nullnummer gereicht. © dpa | Andreas Gebert
So sah die Enttäuschung im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund aus.
So sah die Enttäuschung im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund aus. © Bongarts/Getty Images | Christof Koepsel
Der Blick nach vorn – die nächste WM wird vielleicht besser.
Der Blick nach vorn – die nächste WM wird vielleicht besser. © Bongarts/Getty Images | Christof Koepsel
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Dafür

Bei vielen Medien hat Löw noch Kredit. Das ist erklärbar: Nicht nur durch den WM-Titel von 2014, sondern auch wegen seiner Umgangsformen wird er jetzt mit Respekt behandelt. Selbst die in vergleichbaren Fällen wenig zaghafte Bild-Zeitung, die 1984 nach Jupp Derwalls EM-Schaden Franz Beckenbauer in großen Lettern zur Amtsübernahme aufforderte und 1994 ein fiktives Kündigungsschreiben für Berti Vogts veröffentlichte („Unterschreiben Sie hier!“), hält sich zurück. Viele Experten wissen eben auch: Es ist kein anderer da, der sofort helfen könnte. Die Stimmung wäre vielleicht etwas anders, wenn einer wie Jürgen Klopp zur Verfügung stünde.

Dagegen

Löw wirkte bei der WM nicht mehr wie ein Macher. Sondern er umgab sich mit der Aura dessen, der niemandem mehr etwas beweisen muss. Nach der Auftaktpleite gegen Mexiko empfand er die Frage, ob er das Aus befürchte, anmaßend. Seine Antwort: „Das wird uns nicht passieren.“