Essen. Nationalspieler Niklas Süle hat nach dem WM-Aus die Medien kritisiert. Darin steckt viel vom manchmal verqueren Weltbild junger Profis.

Niklas Süle ist ein junger Kerl. Das sollte Berücksichtigung erfahren, wenn von ihm die Rede ist. 22 Jahre - manch einer weiß in diesem Alter nicht einmal, womit er mal sein Geld verdienen will. Dieses Problem hat Süle nicht. Er ist Fußball-Profi und hat vermutlich jetzt schon mehr Geld verdient als so mancher Mensch in seinem ganzen Leben. Erst bei der TSG Hoffenheim, seit dem Sommer 2017 beim FC Bayern München. 135 Bundesligaspiele, zwölf Länderspiele, eines davon bei der WM. Sein Groß-Turnier-Debüt war das 0:2 gegen Südkorea, das das Aus der deutschen Mannschaft schon in der Vorrunde besiegelte.

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Süle ist Abwehrspieler, er hielt den Laden noch ganz gut zusammen. An ihm hatte es weniger gelegen als an anderen. An wem sonst? Stratege Toni Kroos hatte die Richtung vorgegeben. „Es wird uns keiner zum Titel schreiben, das muss von uns kommen." Und als es dann nicht geklappt hatte, meldete sich Süle auf seinem Instagram-Profil, also in den Sozialen Medien, zu Wort.

„2014 waren wir alle Weltmeister! Das heißt aber auch, dass wir 2018 alle ausgeschieden sind! Eure Kritik ist angebracht und mehr als gerechtfertigt! Es geht mir auch nicht um die Medien, die sowieso versuchen alles schlecht zu reden. Es geht mir um wahre Fans, die bei Erfolg und bei Misserfolg da sind! Deswegen hoffe ich auf die Unterstützung von ganz Deutschland, um stärker zurückzukommen!", schrieb Süle am Samstag. Und das war schon von erstaunlichem Chuzpe.

Niklas Süle hat seine erste WM gespielt

Da ist also ein junger Spieler, der seine erste WM spielt und zwar mit einer Mannschaft, die sportlich auf ganzer Linie enttäuscht. Von dieser Position aus zeigt er mit dem ausgestreckten Finger auf, „die Medien, die sowieso versuchen alles schlecht zu reden“. Woher kommt ein solch verqueres Weltbild? Mit anderen Worten: Wer hat diese Spieler – Süle ist nur das Sinnbild - so verhätschelt, dass sie im Moment des größtmöglichen Desasters so reagieren? Und ist das nicht vielleicht auch ein Teil des Problems, vor dem der deutsche Fußball gerade steht mit seinen gelobten Nachwuchsleistungszentren (NLZ), in denen sich so viele Dinge lernen lassen – unter Verkümmerung manch anderer Fähigkeit, die es zum Leben braucht?

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Als Zehnjähriger wechselte Süle in die Nachwuchsabteilung von Eintracht Frankfurt. Mit 14 ging er ins Hoffenheimer Internat. In den NLZ der Profi-Klubs lernt man heutzutage alles, was mal wichtig wird: Taktik, Technik, Trainingslehre, richtige Ernährung, Umgang mit Medien. Und weil viele Bundesligisten „die Medien“ mittlerweile als auszusperrende Störenfriede wahrnehmen und mehr und mehr eigenen, eher unkritischen Inhalt selbst produzieren, ist der Gedanke zum Journalisten als Feindbild vermutlich nicht weit.

Mal ganz davon abgesehen, dass es nützlich zu wissen und auch zu sagen ist, dass es unterschiedliche Medien gibt: jene, die auf Schlagzeilen aus sind, jene, die differenzieren. Wer sich von Berichterstattung gestört fühlt (das Recht hat jeder), darf sich aber gern auch weniger pauschalierend zu Wort melden (die Pflicht hat jeder).

Natürlich gibt es gerade im Sportjournalismus Tendenzen, die mitunter bedenklich sind. Sorgfalt sollte immer vor Schnelligkeit gehen. Da geht es um Verantwortung für die eigene Integrität. Aber auch Niklas Süle hat als Nationalspieler trotz seiner 22 Jahre eine Verantwortung. Einen solchen Satz zu sagen in einer Zeit, in der Menschen auf die Straße ziehen und „Lügenpresse“ brüllen, ist mindestens gedankenlos.

Aber um Verantwortung geht es ja in der ganzen Sache. „Wenn ich Selbstständigkeit auf dem Platz verlange, dann sollten die Spieler außerhalb des Platzes ihre privaten Angelegenheiten grundsätzlich auch selbständig regeln können“, sagt zum Beispiel Gladbachs Trainer Dieter Hecking seit Jahren. Aber es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass begehrte Talente oder hoch bezahlte Profis noch nie ein Bürgeramt von innen gesehen oder eine Waschmaschine angestellt haben. In Zeiten, in denen Fußballspieler mit dem Charterflieger von Dortmund nach Paris zum Frisör jetten (Aubameyang), ist der Gedanke auch nicht mehr weit, sich einfach neue Klamotten zu kaufen, wenn die alten dreckig sind.

DFB ist stolz auf die Strukturen im Nachwuchsbereich

Beim Deutschen Fußball-Bund sind sie stolz auf die Strukturen im Nachwuchsbereich, denn sie haben eine Weltmeister-Mannschaft hervorgebracht. Aber nicht erst seit dem Vorrunden-Aus fragt man sich auch an der Verbandszentrale in Frankfurt, ob man noch auf dem richtigen Weg ist, ob die Kinder und Jugendlichen des deutschen Wohlstandslandes noch ausreichend Biss und Willen haben, sich durchzusetzen.

Menschen, die Teil dieses Systems sind, berichten, dass bei manchem U19-Lehrgang 28 Spieler anrücken – und mindestens genauso viele Betreuer. Trikots, Schuhe, Trainingssachen werden stets gesäubert bereit gestellt, auch für Getränke ist gesorgt. Vergisst einer seine Jacke, hechtet ein Betreuer los, um sie zu holen. Nicht mehr tun müssen, an nichts mehr schuld sein. Das sind sie, jene Zukunftshoffnungen, die mal Verantwortung übernehmen sollen, die in schwierigen Situationen richtig reagieren sollen. Wie soll das gehen?

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Mats Hummels ist einer, der seinen eigenen Kopf behalten hat. Er sagte schon vor dem Turnier, dass die heutigen Talente anders sind als er einst. „Ja, das ist auffällig. Ich spüre bei den Bayern schon, dass da andere Typen aus der Jugend kommen als noch vor zehn Jahren. Ich habe die ersten Wochen in der Bayern-Kabine fast kein Wort gesprochen. Jetzt kann es schon mal vorkommen, dass einer der Jungen ein Verhalten an den Tag legt, als wäre er schon seit drei Jahren bei der Mannschaft.“

Hummels geht es nicht um zwanghaftes Devotsein, aber um ein nicht unbedingt schädliches Maß an Demut. Er habe als junger Kerl „immer die Tore geschleppt. Das gehörte einfach dazu. Ich habe erst mit 25 damit aufgehört. Es ist schon auffällig, dass inzwischen schon mal ein 18-Jähriger nicht versteht, warum er das jetzt machen muss.“ So wie Niklas Süle das eine oder andere auch noch nicht verstanden zu haben scheint.