Essen. Die Entfremdung zwischen Team und Fans ist unübersehbar. Der Fall Özil ist nur ein Beispiel für das Elite-Denken. Ein Debattenbeitrag.

Als bei der WM das Drängen der deutschen Fans am Absperrgitter nicht mehr zu ignorieren war, platzte dem DFB-Mitarbeiter der Kragen: „Du, du und du – schreibt jetzt bitte Autogramme, wenn Ihr aus dem Mannschaftsbus steigt“, flehte er fast. Die Nationalspieler blickten von ihren Handys auf, nahmen ihre Kopfhörer ab und gehorchten.

Widerwillig zwar – aber sie gingen hin. Täglich vier Spieler im Wechsel. Manchmal wurde gar ein Selfie fotografiert. Immerhin.

Man könnte auf die Idee kommen, dass der Schulterschluss mit denen, die auch in Krisen jubeln, eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Aber da täuscht man sich.

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Wenn Mesut Özil etwas zu sagen hat, dann teilt er das auf Instagram mit. In diesem Netzwerk im Internet hat er 17 Millionen Fans und keinen Körperkontakt. Dort postet er zwar – aber sagen tut er nichts. Auch nichts zu seinem Erdogan-Foto. Obwohl alle darauf warten.

Die Deutschen nehmen das Aus fast achselzuckend zur Kenntnis

So entsteht das Bild einer Mannschaft, das Deutschland ratlos zurücklässt. Wo sind sie nur, die Podolskis und Schweinsteigers, die ihre Popularität wahlweise aus ihrem Dialekt oder ihrer Natürlichkeit abgeleitet haben? Als Julian Brandt direkt nach dem 0:1 gegen Mexiko ein Selfie mit einem Fan wagte, haute ihm Bild sofort auf die Finger: Macht man nicht! Brandt hielt sich daran. Bloß keinen Ärger.

Die Entfremdung zwischen der Mannschaft und ihrem Anhang hatte da ihren Tiefpunkt erreicht. Und man kann es jetzt, eine halbe Woche nach der größten Blamage der WM-Geschichte, überall spüren: Die Deutschen nehmen das historische Vorrunden-Aus fast achselzuckend zur Kenntnis. War da was? Da ist kein Wir zu fühlen.

"Irgendetwas stimmt in der Mannschaft nicht"

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    An Warnsignalen hat es nicht gemangelt. Die nicht mehr ausverkauften Länderspiele seit dem WM-Titel 2014. Die weltfremden Werbeslogans wie „Best never Rest“, die nie das Gartenfest oder die Fankurve erreichen. Unter dem Hashtag #zsmmn, was im Internet „zusammen“ heißen sollte, wollte der DFB Einigkeit. Das Recht zur Freiheit auf Meinungsäußerung nahmen sich die Fans und sagten: Nein, danke. Nicht mit uns.

    Dass die Leistung von Spielern weniger mit der Kommerzialisierung als mit einem mangelhaften Mannschaftsgefühl zu tun hat, mit „Selbstherrlichkeit“, wie Bundestrainer Löw genervt feststellte, geht dann völlig unter. Der DFB setzte auf die falsche Symbolik.

    Anders die Schweden. Als der Mittelfeldspieler Jimmy Touma Durmaz wegen seiner türkischstämmigen Herkunft angefeindet wurde, so wie Özil in Deutschland, stellte ihn Trainer Janne Andersson vor die Mannschaft und ließ ihn öffentlich, das heißt: hörbar für alle Welt, seine Liebe zum Heimatland Schweden aufrichtig schildern. Der Auftritt endete im gemeinsamen Schwur gegen Rassismus.

    Vom DFB kam in der Causa Erdogan: ein halbherziger Facebook-Eintrag von Ilkay Gündogan, ein bürokratischer Appell von DFB-Präsident Reinhard Grindel, eine Medienschelte von DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Von Özil selbst: nichts. Gestern Abend äußerte er sich via Twitter – aber nur zum Sportlichen: „Die WM nach der Gruppenphase zu verlassen, schmerzt sehr. Ich brauche Zeit, um darüber hinwegzukommen.“

    Manager Oliver Bierhoff hatte Anfang März eine Ahnung

    Ein „PR-Desaster“ nennt sogar die brave Deutsche Presse-Agentur (DPA), was da zwischen Fußball-Elite und Publikum passiert ist: „Das DFB-Raumschiff hat den Kontakt zur Erde verloren.“ In der Vorbereitung in Südtirol durften die Fans kein Training besuchen.

    Schon Anfang März hatte Bierhoff eine Ahnung, das Russland-Abenteuer des Weltmeisters könnte schieflaufen. „Wir brauchen den nächsten Masterplan“, mahnte er. „Wer mich kennt, weiß, dass Stillstand und das Gleiche über Jahre hinweg machen nicht mein Ding sind.“ Beim wertkonservativen DFB hört man das nicht gern.

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