Sotschi. Mesut Özil wird endgültig zum Politikum bei dieser WM – der für ihn in der Startelf gebrachte Marco Reus dagegen zum heimlichen Helden.

Was Bilder für eine Macht haben, hat Mesut Özil auf die harte Tour gelernt. Sein Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan hat ihm berechtigte Kritik, aber auch Hass und Schmähungen nahe der Volksverhetzung eingebracht. Der 29-Jährige setzte die deutsche Nationalmannschaft damit vor dieser WM unter einen Druck von gesellschaftspolitischer Dimension. Sie ächzte darunter. Noch kann man nicht final sagen, ob die Affäre sogar die Kraft besitzt, das Kapitel Mesut Özil in der Nationalelf nach Russland zu beenden.

Daher ist es eine besondere Pointe, dass Özil nun ein weiteres Bild nutzt, um Zusammenhalt zu signalisieren. Und das an dem Abend, als ihn Bundestrainer Joachim Löw beim 2:1 gegen Schweden zum ersten Mal nach 26 Turniereinsätzen von Beginn an in Folge auf die Bank gesetzt hatte.

Özil sendet gemeinsames Foto mit Reus

Özil twitterte ein Foto aus der deutschen Kabine. Darauf lachen er und Marco Reus in die Kamera. „Was für ein Kampf! Wir sind ein Team, auf und neben dem Platz, egal, was sie sagen“, steht darunter.

Nun muss man in diesen Zeiten vorsichtig sein. Nationalspieler wie Özil lassen ihre Social-Media-Accounts von professionellen Agenturen orchestrieren. Aber hier soll die Initiative allein von Özil ausgegangen sein.

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Das ist deshalb bemerkenswert, weil Reus erstens Özils Platz im Team bekam und sich gerade zum heimlichen deutschen Helden in Russland aufschwingt. Und zweitens, wenn man weiß, dass Özil und Reus abseits des Platzes keine besondere Freundschaft verbindet, so wie Özil und Jerome Boateng zum Beispiel. Der Ex-Schalker Özil und der Dortmunder Reus sind Kollegen, die sich schätzen. Mehr nicht.

Nun allerdings sind sie auch die beiden Enden einer Stimmungsskala: der gefallenen Lieblingsschüler Löws auf der einen Seite und der neue deutsche Liebling Reus auf der anderen.

Eigentlich war Özil für Löw immer unumstößlich

„Man kann nicht immer mit derselben Mannschaft spielen“, erklärte Löw nach der Partie sparsam, warum er auf Özil verzichtet hatte, der gegen Mexiko (0:1) noch einer der besseren von elf schlechten Spielern war. In 91 Länderspielen hatte der Mittelfeldmann vom FC Arsenal 84 Mal in der Startelf gestanden (23 Tore/40 Vorlagen).

Eigentlich war Özil für Löw immer unumstößlich. Auch im Abschlusstraining am Freitag stand er in der vermeintlichen A-Elf. Aber am Morgen danach erfuhr er, dass er nicht spielen werde. Irgendetwas ist passiert. Und es ist noch nicht klar, ob es sich hier um rein sportliche Gründe handelte, oder ob die Affäre Erdogan eine Rolle spielt.

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Özil traf die öffentliche Kritik nach der Auftaktniederlage besonders: Ex-Nationalspieler wie Lothar Matthäus und Mario Basler („Dem seine Körpersprache ist die eines toten Frosches“) arbeiteten sich an ihm ab. Aber auch innerhalb der Mannschaft soll es Mitspieler geben, die Özil durchaus kritisch sehen.

Löw soll sich bei der WM 2014 nach dem schweren Viertelfinaleinzug gegen Algerien (2:1 n. V.) von Teilen des Teams umstimmen lassen und deshalb Philipp Lahm aus dem Mittelfeld wieder zurück auf die Rechtsverteidigerposition beordert haben.

Löw: "Werden Özils Kreativität noch brauchen"

Gab es vier Jahre später nun auch aus der Mannschaft Signale, besser auf Özil zu verzichten? Ließ sich Löw wieder umstimmen, der eine enge Verbindung zu Özil pflegt? Oder gibt es hier eine höhere Ebene? Geht es mehr um Politik und weniger um Fußball?

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Wie es mit Mesut Özil weitergeht, hängt auch davon ab, ob Löw den Spielgestalter bald wieder zum Einsatz bringt bei dieser WM. Der Bundestrainer erweckte zumindest den Eindruck, dass das durchaus denkbar sei: „Özils Kreativität werden wir bei diesem Turnier sicherlich noch brauchen“, sagte Löw nach dem Schweden-Spiel.

on DFB-Präsident Reinhard Grindel gab es Lob für eine „Reaktion“ der Mannschaft und die vier Umstellungen in der Startelf: „Joachim Löw hat Veränderungen vorgenommen, die sich alle als richtig erwiesen haben“, sagte Grindel.

Marco Reus ist der Gewinner

Der große Gewinner im deutschen Team bisher bei dieser WM ist Marco Reus, der wegen seiner Verletzungen meist das Sorgenkind war. Nun wurde der 29-Jährige als „Mann des Spiels“ gegen Schweden ausgezeichnet. Er erzielte das 1:1 mit dem Knie (48.) und war bei der Ausführung vom Freistoß Toni Kroos' zum späten 2:1-Siegtreffer beteiligt (90.+5.).

„Es war schon sehr knapp. Das hatten wir uns anders vorgestellt“, sagte Reus kritisch, „es war auch ein bisschen Glück im Spiel – vor allem bei meinem Tor.“ Aber es handelte sich eben auch um die Zutat Reus, die dabei half, die Wende herbeiführte und die für den weiteren Turnierverlauf noch entscheidender werden könnte.

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Während Özil erstmals seit seinem WM-Debüt 2010 bei einem Großereignis draußen saß, stand Reus zum ersten Mal in der Startelf bei einem Turnier seit dem EM-Viertelfinale gegen Griechenland 2012 (4:2). Zwei Enden einer Stimmungsskala. „Wir müssen so Energie geladen auch gegen Südkorea (Mittwoch/16 Uhr) spielen wie in der zweiten Halbzeit gegen Schweden“, sagte Reus.

Dann wäre möglich, dass wieder so Energie geladen gejubelt wird wie nach dem Kroos-Tor, als sich alle in den Armen lagen. Özil übrigens jubelte mit.