Hannover (dpa/tmn). Kriminalfälle sind das Thema vieler Stadttouren. In Hannover gibt es gleich drei - natürlich auch zu Fritz Haarmann. Voyeurismus wolle er nicht bedienen, sagt einer der Führer. Aber was ist es dann?

Knickerbocker, Kniestrümpfe, breite Hosenträger, kleinkarierte Schirmmütze - so begrüßt Hendrik Seiffert die Gäste seiner Stadtführung. Es ist der Look der 1920er Jahre. Seiffert wandelt auf den Spuren Fritz Haarmanns, einem der bekanntesten Serienmörder der deutschen Kriminalgeschichte.

Haarmann beging mindestens 24 Morde, vor allem in den Jahren 1923 und 1924. Im Prinzip sei er „der deutsche Jack the Ripper“, so Seiffert.

Die Erinnerung an Haarmann hält nicht zuletzt ein abgewandelter, makabrer Operetten-Refrain wach, in dem es heißt: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu Dir, mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Hackefleisch aus Dir.“

Kriminelle Hotspots

„Wir werden zu allen kriminellen Hotspots der 1920er Jahre gehen“, sagt Seiffert. Dazu gehört der Hauptbahnhof, an dem die Tour beginnt. Haarmann hatte hier als „Polizeispitzel“ gearbeitet und „die meisten seiner Opfer kennengelernt“, wie Seiffert erzählt. Diese waren ausnahmslos männlich und zwischen 10 und 22 Jahre alt.

Oft handelte es sich um Ausreißer, über deren Verschwinden sich kaum jemand wunderte. Haarmann lud sie zu sich nach Hause ein, versprach Unterkunft und Essen.

Als krimineller Hotspot galt auch die zweite Station, der Kröpcke, ein zentraler Punkt mitten in Hannover. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg prostituierten sich hier auch männliche Minderjährige. „Kriminal-Haarmann“, wie er wegen seiner Spitzeltätigkeit dort genannt wurde, schaute häufiger vorbei. Man kannte sich.

Wie sehr sich Hannover seither verändert hat, zeigen Fotos, die Seiffert mitgebracht hat. Der Ballhof, heute ein lauschiges Plätzchen mit Theater, Teestube, Bierbar und Restaurant, war früher eine kleine Gasse und Treff der homosexuellen Szene. Hier pulsierte das blühende Leben des liberalen Hannovers, hier wohnte auch Hans Grans, der Gehilfe und zeitweilige Geliebte von Haarmann.

Gruseleffekt am Tatort

Vom Ballhof sind es nur ein paar Schritte bis zur Leine. Der Fluss hatte damals noch zwei Arme. Diese umschlossen „Klein-Venedig“, eine Insel, eng bebaut mit Fachwerkhäusern, in denen arme Leute lebten, wie Seiffert erzählt: „Wohnraum war Mangelware.“

Am Leine-Ufer wurde im Frühjahr 1924 die Mordserie erstmals ruchbar - Kinder fanden Knochen und Schädel. Davor gab es nur Gerüchte.

Über eine Flussbrücke führt Seiffert seine Gäste zur Roten Reihe, einer Straße in der Calenberger Neustadt. Hier bezog Haarmann 1923 eine Dachkammer.

Das Haus steht nicht mehr, aber Seiffert hält ein Foto hoch. Es zeigt ein Zimmer mit Bett, Stuhl, Tisch und Waschschüssel, kaum mehr. In dieser Wohnung tötete Haarmann die meisten seiner Opfer, indem er ihnen nach eigener Aussage die Kehle durchbiss. Anschließend legte Haarmann sich schlafen. Später zerstückelte er die Leiche und brachte die Knochen in einem Koffer zur Leine.

Keinen Voyeurismus bedienen

All das schildert Seiffert, der Politik und Geografie studiert und im Nebenjob die Führungen anbietet, eher nüchtern. Den Voyeurismus, den er im Zusammenhang mit Krimi-Stadttouren beobachtet, wolle er nicht bedienen, sagt Seiffert. „Da bin ich zu sehr wissenschaftlich, das ist mehr so mein Naturell.“

Festgenommen wurde Haarmann im Juni 1924. Zunächst nur, weil er mit einem Jugendlichen in Streit geraten war. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand die Polizei dann Hinweise auf die Taten. Die mehr als rüden Vernehmungsmethoden führten schließlich zu einem Geständnis. Das Gericht befand ihn in 24 Fällen des Mordes für schuldig und verhängte die Todesstrafe.

Die Henkersmahlzeit soll aus Schinkenbrot und Harzer Käse bestanden haben - ein Wunsch von Haarmann. Und noch weiterer „Wunsch“ wurde ihm erfüllt: „Ich will geköpft werden. Das ist ein Augenblick, dann hab' ich Ruh'.“ Am 15. April 1925 starb er unter dem Fallbeil.

Unterwegs mit dem Kripo-Mann

Fritz Haarmann ist der bekannteste, aber nicht der einzige Serienmörder in der Geschichte Hannovers. Jasper Hanebuth stand ihm kaum nach. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) trieb er sein Unwesen im Stadtwald Eilenriede, ein Wegelagerer und ziemlich roher Zeitgenosse. Nach seiner Verhaftung gestand er 19 Morde und wurde öffentlich gerädert.

Mehr über Hanebuth erfährt man bei den Stadtführungen „... ab und zu war wieder einer tot ...“ und „Dem Verbrechen auf der Spur - Hannovers Krimi Tour“.

Jürgen Veith ist einer von fünf Stadtführern, die die „Krimi Tour“ erarbeitet haben. „Ich war früher öfter im Knast“, mit diesen Worten begrüßt der Mann, Mitte 70, seine Gäste. Über das Warum lässt er sie allerdings zunächst im Unklaren.

Dass er gut zehn Jahre lang als Kriminalbeamter „Todesermittlungssachen“ bearbeitet und danach an der Fachhochschule für Verwaltung im Saarland Kriminalistik und Kriminologie gelehrt hat, verrät er erst gegen Ende seiner knapp zweistündigen Tour.

Einblicke in Motive, Täterprofile und Spurensicherung

Unterwegs schildert Veith Kriminalfälle aus den vergangenen Jahrhunderten, möglichst in Tatortnähe. Locker plaudert er über Mordmotive, Täterprofile und Spurensicherung. Seine Gäste bekommen einen Einblick in die Arbeit der Polizei, die in Hannover um 1809 von den Franzosen eingesetzt wurde. Heute werden in der Landeshauptstadt im Schnitt um die 65.000 Straftaten pro Jahr erfasst.

Eine Stadt wie Hannover ist ein gutes Pflaster für Angebote wie die „Krimi Tour“. Nicht, dass hier Mord und Totschlag eine größere Rolle spielen würden als anderswo. Vielmehr seien Großstädte generell „kriminalitätsbelasteter“, sagt der Kripo-Mann.

Nur eines kann sich Veith nicht so richtig erklären: Warum vor allem Frauen seine Tour buchen. „Wahrscheinlich sind sie wissbegieriger.“

Mörderische Touren durch Hannover

  • „Fritz-Haarmann-Tour“: Hendrik Seiffert bietet seine Tour in der Regel immer freitags um 20 Uhr an - nach einer kurzen Winterpause geht es Anfang Februar wieder los. Pro Person kostet es 30 Euro, ab vier Personen gibt es Rabatt. (www.fritz-haarmann-tour.de)
  • „Dem Verbrechen auf der Spur - Hannovers Krimi Tour“: Sie führt ganzjährig samstags (März bis Oktober außerdem noch freitags) am Nachmittag durch die Innen- und Altstadt Hannovers. Pro Person 16 Euro, ermäßigt 10 Euro. Mindestalter 16 Jahre. Infos und Buchung unter www.visit-hannover.com.
  • „... ab und zu war wieder einer tot ...“: Das ist der Titel einer Tour durch „500 Jahre hannoversche Kriminalgeschichte“. Termine gibt es wieder ab Anfang März. Pro Person 12 Euro, ermäßigt 9 Euro. Sie kann unter www.stattreisen-hannover.de gebucht werden.
  • Informationen: Hannover Tourist Information, Ernst-August-Platz 8 30159 Hannover (Tel.: 0511 12345 111; Website: www.visit-hannover.com)