Initiative aus Hamburg: 241 Wirtschaftswissenschaftler fordern von der Politik mehr Mut zu Reformen

Mit einem "Hamburger Appell" haben gestern 241 Professoren für Volkswirtschaftslehre Bundes- und Landespolitiker aufgefordert, ehrlicher für notwendige Wirtschaftsreformen zu werben, auch wenn die erforderlichen Maßnahmen weh tun. "Gerade Wahlkampfzeiten bergen Chancen und Risiken", sagt Michael Funke, Professor am Department Wirtschaftswissenschaften der Universität Hamburg: "Mehr Ehrlichkeit könnte die Akzeptanz für einschneidende Reformen stärken. Doch ich fürchte, daß es bei einer nicht ehrlichen Bestandsaufnahme bleibt, um den Wählern harte Wahrheiten zu ersparen."

Funke hat, zusammen mit seinem Professoren-Kollegen Bernd Lucke und Thomas Straubhaar den Appell formuliert. Per E-Mail hatte sich das Trio dann bundesweite Unterstützung organisiert.

Der Aufstand der Wirtschaftswissenschaftler will wachrütteln. Er wendet sich zwar vor allem an die Politik, kritisiert aber auch eine allgemein verbreitete Haltung: Kürzungen ja, aber nicht bei mir. Funke nennt ein Beispiel aus Hamburg: "Wenn die Stadt eine Nutzungsgebühr für Turnhallen einführen will, gibt es sofort einen Aufschrei der Betroffenen. Dabei wird übersehen, daß nur eine geringe Eigenleistung von vielleicht fünf Euro pro Winterhalbjahr gefordert wird. Statt dessen werden Schreckensszenarios entworfen, um drohendes Unheil abzuwenden."

Angesichts der hohen Defizite müsse vor allem der Staat rigoros sparen, so Funke. Nicht nur Beamte, auch Staatsangestellte müßten Abstriche hinnehmen, wie zum Beispiel verlängerte Arbeitszeiten oder ein gekürztes 13. Monatsgehalt. Generell müßten die Leistungsträger der Gesellschaft von der Notwendigkeit von strukturellen Veränderungen überzeugt werden, so Funke: "Wir reden zu sehr über Randgruppen wie Hartz IV oder die Millionärssteuer. Wir müssen vor allem die 90 Prozent dazwischen mitnehmen."

Es gebe zwar schwerwiegende Probleme, aber Pessimismus sei fehl am Platze, betonen die Wirtschaftsexperten. Andere europäische Länder, etwa England, Irland und Finnland zeigten, daß ihre Wirtschaft gesunden kann - auch vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt. Funke: "Die Menschen dürfen nicht in Lethargie verfallen. Wir müssen politisch ein Paket schnüren, das auch aus Verteilungsgesichtspunkten akzeptabel ist." Hinweise darauf, was in dieses Paket hineingehört, geben die elf Thesen des "Hamburger Appells".