Moskau. Sowohl Kremlpartei als auch Opposition werten die Regionalwahlen in Russland als Erfolg. Wahlbeobachter berichteten von Manipulationen.

Die Regionalwahlen in Russland sind nach dem Giftanschlag auf den ärgsten Kritiker von Präsident Wladimir Putin mit großer Spannung erwartet worden. Würde die Vergiftung von Alexej Nawalny Einfluss auf die Wahlergebnisse haben? Seine Anhänger jedenfalls feierten einen Wahlerfolg: In der Metropole Nowosibirsk, die drittgrößte Stadt Russlands, ist die Kremlpartei Geeintes Russland seit Sonntag nicht mehr stärkste Kraft im Stadtrat.

„Hurra, wir haben die Stadt von Geeintes Russland befreit“, schrieb der regionale Stab des Nawalny-Lagers am Montag bei Twitter. In das Stadtparlament von Nowosibirsk wurde von Nawalnys Team Sergej Boiko gewählt. Dessen Büro war noch vor der Wahl von Unbekannten mit Chemikalien angegriffen worden. Und auch in der Stadt Tomsk verlor Geeintes Russland die Mehrheit, zwei Nawalny-Mitarbeiter schafften dort nach vorläufigen Angaben den Einzug in den Stadtrat.

Insgesamt aber bleibt die Kremlpartei in Russland dominant – und hält weiter alle wichtigen Posten. Ex-Ministerpräsident Dmitri Medwedew, der auch Parteichef von Geeintes Russland ist, hatte schon nach Schließung der letzten Wahllokale seine Partei zum Sieger erklärt. Alle von Geeintes Russland unterstützten Gouverneure in den 18 Regionen bleiben den jeweiligen Wahlleitungen zufolge im Amt. Allein sechs erhielten Zustimmungswerte von über 80 Prozent.

Wahlen über drei Tage – um Corona-Infektionen zu vermeiden

Beobachtern zufolge gab es bei den Regionalwahlen jedoch vielerorts Unregelmäßigkeiten und Manipulationen. Es seien bereits mehr als 1000 Meldungen über mögliche Verstöße eingegangen, sagte der Co-Vorsitzende der unabhängigen Wahlbeobachtungsgruppe Golos, Grigori Melkonjanz, am Sonntagmittag dem Radiosender Echo Moskwy in Moskau. „Darunter sind auch Fälle von absichtlicher Wahlfälschung.“

Wahlbeobachter hätten darüber hinaus über Behinderungen ihrer Arbeit berichtet, sagte Wahlbeobachter Melkonjants. Es sei auch Gewalt angewendet worden. „Es gibt Berichte über Wahlzwang und Bestechung aus vielen Regionen.“ Einige Wahllokale hatten bereits am Freitag geöffnet. Die Behörden wollten laut eigenen Angaben das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus verringern. Kritiker befürchteten aber Manipulationen, weil eine Kontrolle der Wahl über drei Tage hinweg schwierig sei

Millionen Menschen waren am Hauptabstimmungstag in nahezu allen Gebieten des flächenmäßig größten Landes der Erde zur Stimmabgabe aufgerufen. Insgesamt gab es mehr als 9000 verschiedene Wahlen. In 18 Regionen wurden Gouverneure gewählt, in elf weiteren Regionen stimmten die Menschen über eine neue Zusammensetzung lokaler Parlamente ab. In 22 Städten standen Stadtratswahlen an. In anderen Gebieten stellten sich Abgeordnete der Staatsduma zur Wahl.

Regionalwahlen in Russland: Wie schneidet Putins Partei ab?

Die Abstimmung gilt als wichtiger Stimmungstest für den Präsidenten Wladimir Putin. Gerade die Vergiftung seines ärgsten Kritikers, Alexej Nawalny, überschattete die Wahl. Das Ansehen von Putin und seiner Partei litt zuletzt nämlich nicht nur unter dem Verdacht, dass der Kreml hinter dem Anschlag auf Nawalny stecken könnte. Eine unpopuläre Rentenreform, hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte wirtschaftliche Lage wegen der Öl-Krise und der Corona-Pandemie sorgten zuletzt für Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

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Die Leiterin des Analyseinstituts R.Politik, Tatjana Stanowaja, sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Regionalwahlen dienten dem Kreml als Entscheidungsgrundlage in der Frage, ob die Regierungspartei Geeintes Russland reformiert werden müsse und die nationale Parlamentswahl verschoben.

Nawalnys Vergiftung könnte nach Tatjana Stanowajas Einschätzung „widersprüchliche Folgen“ für die Regionalwahlen gehabt haben. Einerseits sei durch die Tat Nawalnys Kampagne für eine „kluge Wahl“ des jeweils aussichtsreichsten Oppositionskandidaten behindert worden, sagte die Politik-Expertin. Andererseits habe der Giftanschlag „einen Schock“ ausgelöst, der möglicherweise einige Bürger auf die Seite der Opposition getrieben habe.

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Vergiftung von Alexej Nawalny: Strategie der „klugen Abstimmung“ gefährdet?

Der auch international bekannte Putin-Kritiker Alexej Nawalny wird bereits seit drei Wochen in der Berliner Universitätsklinik Charité behandelt. Nach einer Untersuchung in einem Speziallabor steht für die Bundesregierung fest, dass der 44-Jährige mit einem Nervengift der vom internationalen Chemiewaffenverbot betroffenen Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Russische Ärzte sähen dagegen bislang keine Anhaltspunkte für eine Vergiftung, hieß es aus Moskau. Mehr dazu: Fall Nawalny: Deutschland will Akten geheim halten

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Bevor Nawalny auf einem Inlandsflug nach Moskau zusammengebrochen war, hatte er sich in Sibirien aufgehalten, um die Regionalwahlen vorzubereiten. Sein Team wollte mit der Strategie einer „klugen Abstimmung“ die Dominanz der Kremlpartei brechen. Dabei sollen die Wähler für irgendjemanden stimmen – nur unter keinen Umständen für Geeintes Russland. Diese Methode war schon in der Vergangenheit sehr erfolgreich.

(dpa/yah/bml)

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