Bis Ende 2022 kein Öl und Kohle mehr aus Russland – Klimaschutz-Minister Habeck handelt erstaunlich pragmatisch, meint unser Autor.

Bis zum Jahresende soll kein Erdöl mehr aus Russland durch Pipelines nach Deutschland fließen. Auch bei der Steinkohle könnte die Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Reich des Kriegstreibers Wladimir Putin schon in wenigen Monaten beendet sein. Das Tempo, mit dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im engen Schulterschluss mit der deutschen Industrie und den Versorgern nach Alternativen zu Energie-Importen aus Russland sucht, ist beeindruckend.

Selbst beim Erdgas, hier ist Deutschland besonders abhängig von Russland, geht plötzlich alles ganz schnell. Gerade vor einer Woche noch hat die einflussreiche Denkfabrik Agora Energiewende berechnet, dass Deutschland erst im Jahr 2027 die Hälfte des russischen Gases aus anderen Quellen ersetzen könne. An diesem Freitag überrascht Habeck mit einer anderen Ansage. Schon im Sommer 2024 könnte der Anteil von russischem Erdgas von heute 55 auf dann zehn Prozent gesenkt werden.

Das ist ein wichtiges Signal für die Industrie und die Privathaushalte in Deutschland. Selbst wenn es zu einem Energie-Embargo im Zuge des Krieges in der Ukraine kommen sollte, entweder als Sanktion des Westens oder Gegenreaktion Moskaus, bräche bei uns nicht der Notstand aus. Mehr zum Thema:Öl, Gas und Co.: So wird Deutschland unabhängig von Russland

Klimaschutzminister macht Tempo bei Gas, Öl und Kohle

Bemerkenswert ist aber nicht nur das Tempo, das Habeck bei dieser komplexen und heiklen Angelegenheit wenige Monate nach seinem Amtsantritt an den Tag legt. Erfrischend ist auch sein undogmatisches Handeln.

Schließlich ist der prominente Grünen-Politiker auch deutscher Klimaschutzminister – und es wird nicht wenige Stimmen in seiner Partei geben, die erschrocken sind von Verhandlungen mit Ländern wie den USA, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten über Flüssiggas-Importe und Diskussionen über längere Laufzeiten für die besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerke.

Doch das ist in dieser Situation genauso wenig zielführend wie der Fingerzeig einiger Ökonomen in Richtung Energiewende: Wäre der Ausbau von Windrädern und Solarzellen in den vergangenen Jahren mit mehr Ehrgeiz vorangetrieben worden, müssten wir uns jetzt nicht erst mühsam aus der Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas aus Russland befreien.

Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent
Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Das stimmt zwar. Doch zur Abwendung einer möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Versorgungskrise ist Realpolitik gefragt. Und hier scheint Habeck, der vor der Wahl auch gern als verkopfter Philosoph betitelt wurde, zu liefern. Dass im nächsten Schritt über mehr Tempo bei der Energiewende gesprochen werden muss, sollte die Ukraine-Krise aber auch den größten Kritikern klar vor Augen geführt haben.

Und dann ist da noch eine Zahl: Rund 200 Millionen Euro überweisen deutsche Versorger Tag für Tag für die Energielieferungen nach Russland. Putin provozierte den Westen in dieser Woche mit der Forderung, dass Öl und Gas binnen sieben Tagen nur noch in russischen Rubel zu bezahlen sind.

Damit müsste der Westen seine eigenen Sanktionen wegen des von Russland geführten Angriffskrieges in der Ukraine brechen – und wegen eines deutlich aufgewerteten Rubels noch mehr Geld in die russische Kriegskasse spülen, als das ohnehin schon der Fall ist.

Dass Deutschland und Europa bei der Energieversorgung ihre Abhängigkeit in so kurzer Zeit auf neue Beine stellen, gibt dem Westen auch in dieser Frage neues Selbstbewusstsein. Je mehr Alternativen es zu Kohle, Gas und Öl aus Russland gibt, desto einfacher wird es Europa fallen, standhaft zu bleiben und im Zweifelsfall die Konsequenzen hinzunehmen.