Warum kluge Kritik an Peking mehr bringt als ein Boykott der Olympischen Winterspiele, erklärt unser Politik-Experte Michael Backfisch.

Es gibt viele gute Gründe, die Vergabe der Olympischen Winterspiele an China zu kritisieren. Zuallererst: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) ließ sich vom lukrativen Zukunftsmarkt in Fernost blenden. Milliardenschwere Werbeeinnahmen lockten zudem Sponsoren an, die die Kommerzmaschine so richtig auf Touren bringen.

Der liebedienerische Kurs von IOC-Präsident Thomas Bach, der sich gegenüber Chinas Staatschef Xi Jinping eher auf die Zunge beißt, als eine skeptische Silbe zu äußern, unterstreicht: Es geht ums große Geld. Verbrämt wird dies mit dem Siegel der politikfreien Völkerbegegnung.

Nein, die Olympischen Spiele sind eben nicht politikfrei. Das sportliche Megaereignis wird vom Pekinger Regime als Propagandanarrativ missbraucht. Die Botschaft: Das autoritäre System ist den „moralisch dekadenten Ländern des Westens“ überlegen – in Effizienz, Organisation und in der Kampagne gegen Corona.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent.
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

Dass die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, juckt weder die Sportfunktionäre vom IOC noch das Kartell der alten Männer in den Führungszirkeln der Kommunistischen Partei Chinas. Während die Athletinnen und Athleten in Peking um Medaillen kämpfen, werden Kritiker der Regierung mundtot gemacht, Journalisten drangsaliert. In der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong herrscht Friedhofsruhe. In Taiwan haben die Menschen Angst vor einer Invasion der Volksrepublik.

Peking: Laute Kritik wird nichts an Zuständen ändern

Ja, all diese Einwände sind berechtigt. Aber: Was bringt die große China-Keule? Der warme Beifall vor der innenpolitischen Galerie im Westen ist gewiss. Länder wie die USA, Kanada, Großbritannien, Dänemark oder die Niederlande haben zum offenen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele getrommelt.

Doch die lauten Fanfaren der Kritik am Verstoß gegen die Menschenrechte werden im Pekinger Nachthimmel verhallen. Ändern wird sich nichts.

Intelligenter ist die Haltung der Bundesregierung. Kein großes Protest-Tremolo, aber man wertet die Spiele auch nicht durch die Präsenz von Spitzenpolitikern auf. Der Kanzler, die Außen- und die Innenministerin bleiben einfach zu Hause und überlassen die Tribüne den Sportlerinnen und Sportlern.

Die wenigen Staats- und Regierungschefs, die anreisen, sind als Statisten für die politische Verbrüderung von Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin hochwillkommen. Der Kreml ist sehr daran interessiert, Erdgas – das wegen des Ukraine-Konflikts möglicherweise nicht durch die Röhren von Nord Stream 2 fließt – nach China zu liefern. Auch mehr militärische Kooperation steht auf der Agenda. Das Zusammenrücken von Moskau und Peking hat eine antiwestliche Stoßrichtung.

Amerika und Europa müssen an einem Strang ziehen

Aber auch hier gilt: Pure Schwarz-Weiß-Malerei wäre kontraproduktiv. Die USA und die EU brauchen China und Russland für gewaltige globale Herausforderungen. Der Kampf gegen den Klimawandel gehört ebenso dazu wie eine Verhandlungslösung im Atom-Streit mit dem Iran oder Nordkorea.

Das heißt nicht, dass der Westen China und Russland mit Samthandschuhen anfassen soll. Kritik ja, aber in kluger Form. Schrille Megafon-Diplomatie ist selten hilfreich und führt oft zur Verhärtung der Fronten. Das Ergebnis ist Stillstand. Menschenrechte und die Einhaltung wirtschaftlicher Regeln sind Teil der DNA des Westens. Er darf sie einfordern – offen oder über entsprechende politische Kanäle.

Es kommt allerdings darauf an, dass Amerikaner und Europäer an einem Strang ziehen. Eine gemeinsame China-Politik hat die EU aber bis heute nicht hingekriegt. Die wäre jedoch viel wichtiger als die wuchtige rhetorische Keule vor Olympia.